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Arbeitsrecht -

Arbeitszeitbetrug: Kein Schaden - keine Kündigung

LArbG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 13.06.2012 - 15 Sa 407/12

Nicht jeder Arbeitszeitbetrug rechtfertigt eine Kündigung, insbesondere dann nicht, wenn dem Arbeitgeber überhaupt kein Schaden entstanden ist.

Darum geht es

Arbeitnehmer und Arbeitgeberin streiten über die Rechtmäßigkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung durch die Arbeitgeberin. Schon das erstinstanzliche Arbeitsgericht Berlin hat der Kündigungsschutzklage und dem Weiterbeschäftigungsantrag des Arbeitnehmers stattgegeben. Nach Ansicht des Gerichts war der Vortrag der Arbeitgeberin unsubstantiiert. Folgende Vorwürfe seien nicht ordnungsgemäß dargelegt worden:{DB:tt_content:2566:bodytext}

  • der Arbeitszeitbetrug,
  • die Beleidigung eines Kollegen und
  • das rüde und aggressive Verhalten im Personalgespräch.

Die angebliche Weigerung des Arbeitnehmers, die Mitarbeiter des Betriebes rechtzeitig an die Maschinen zu verteilen, hätte zuvor abgemahnt werden müssen.

Die Arbeitgeberin ging gegen das Urteil in Berufung und konkretisierte nun den Vortrag dahingehend, dass der Arbeitnehmer an vier Tagen im August 2011 das Betriebsgelände verlassen habe, ohne sich vorher auszustempeln. Der Arbeitnehmer habe sich mit diesem Verhalten außerdem gegenüber seinen Kollegen gebrüstet. Als Fertigungsleiter hätte er Vorbildfunktionen. Im Übrigen würde der Beschäftigungsanspruch ins Leere gehen, da lediglich 30 % der Arbeitszeit auf die Leitungsfunktion entfallen seien.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Das Landesarbeitsgericht hat sich zunächst mit der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung beschäftigt. Denn wenn schon kein verhaltensbedingter Kündigungsgrund für eine ordentliche Kündigung nach § 1 KSchG vorliegen würde, könne auch kein Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB gegeben sein.

Dabei hat es verschiedene Annahmen als richtig unterstellt: Es ist davon ausgegangen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich an vier Tagen im August 2011 das Betriebsgelände verlassen haben soll, ohne sich auszustempeln. Es hat dabei unterstellt, dass der Arbeitnehmer in der Zeit zum Einkaufen gegangen sei und jeweils fünf Minuten für den Hinweg, fünf Minuten für das Einkaufen und fünf Minuten für den Rückweg gebraucht habe. Damit hätte der Arbeitnehmer insgesamt 60 Minuten gefehlt. Der Schaden hätte somit maximal einen Stundenlohn betragen, im vorliegenden Fall 9,81 € brutto.

Insoweit war bereits fraglich, ob eine Kündigung bei diesem geringen Schadensumfang überhaupt möglich gewesen wäre. Aber auch mit dieser Frage hat sich das Landesarbeitsgericht nicht weiter beschäftigt, sondern festgestellt, dass durch das einstündige Fehlen am Arbeitsplatz überhaupt kein Schaden entstanden sei. Der Arbeitnehmer war arbeitsvertraglich verpflichtet, bis zu zehn Überstunden ohne weitere Vergütung zu leisten. Im Monat August 2011 hatte er aber nur sechs Stunden und 17 Minuten über dem arbeitstäglichen Soll von acht Stunden gearbeitet. Da der Kläger jedenfalls bis zu zehn Überstunden ohne Vergütung hätte leisten müssen, liegt hier kein Schaden vor. Damit stellt sich das Vergehen des Arbeitnehmers nach dem Landesarbeitsgericht als wesentlich weniger schwer heraus. Das Gericht war unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes der Auffassung, dass eine vorherige Abmahnung erforderlich gewesen wäre.

Den Vortrag der Arbeitgeberin, der Arbeitnehmer habe sich mit seinem Verhalten gegenüber anderen Mitarbeitern noch gebrüstet, hat das Landesarbeitsgericht als unsubstantiiert gewertet.

Hinsichtlich des Antrags des Arbeitnehmers auf Weiterbeschäftigung war problematisch, dass nach Ansicht der Arbeitgeberin eine Position als Fertigungsleiter nicht existiere. Sie selbst hatte jedoch im Rahmen des Berufungsvorbringens mehrfach darauf hingewiesen, dass der Arbeitnehmer als Fertigungsleiter seiner Vorbildfunktion nicht gerecht würde und sich somit selbst widersprochen. Im Übrigen entfällt die Position eines Fertigungsleiters nicht dadurch, dass nur 30 % der Arbeitszeit mit Leitungstätigkeiten ausgefüllt werden.

Folgerungen aus der Entscheidung

Ein Arbeitsgericht sucht sich immer die Schwachstelle einer Kündigung heraus. Ein Fehler des Arbeitgebers reicht, um eine Kündigung scheitern zu lassen. Im vorliegenden Fall lag der Fehler darin, dass die Arbeitgeberin nicht berücksichtigt hat, dass ihr durch das Verhalten des Arbeitnehmers keinerlei Schaden entstanden war. Ein Schaden wäre nach Ansicht des LAG Berlin-Brandenburg jedoch die Voraussetzung für einen Arbeitszeitbetrug gewesen. Zudem wäre eine vorherige Abmahnung erforderlich gewesen.

Praxishinweis

Dieses Urteil führt Prozessbevollmächtigten deutlich vor Augen, dass eine Kündigung gut vorbereitet sein sollte. Es ist schon sehr mutig, mit einem unsubstantiierten Vortrag in den Kammertermin vor ein Arbeitsgericht zu ziehen.

Dabei kann vor den Landesarbeitsgerichten der Sachvortrag (noch) ergänzt werden. Vor den Zivilgerichten sieht das anders aus. Hier konnte der Arbeitgeber deshalb den Sachvortrag hinsichtlich des behaupteten Arbeitszeitbetrugs nachträglich untermauern.

Der Arbeitgeber sollte stets wenigstens bei einer verhaltensbedingten Kündigung vortragen können, wann wer was gemacht hat und zu welchem Schaden es dabei gekommen ist. Das sind die grundsätzlichen Voraussetzungen, die vorliegen müssen. Der Arbeitnehmer muss sich gegen die Vorwürfe zur Wehr setzen können, denn nur dann ist ein faires Verfahren gewährleistet. Wenn lediglich behauptet wird, "er habe sich vom Betriebsgelände entfernt", "er habe Kollegen beleidigt" oder "er habe in einem Personalgespräch rüde und aggressiv reagiert", kann der Arbeitnehmer sich gegen diese Vorwürfe im Prozess kaum zur Wehr setzen.

Im Übrigen sollte klar sein, dass eine derartige Darstellung in einer Abmahnung ebenfalls in der Regel dazu führt, dass diese unwirksam ist. Denn auch hier ist das Fehlverhalten konkret darzulegen.

Quelle: RA Arno Schrader - vom 24.09.12