Maksym Yemelyanov © fotolia.de

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Arbeitsrecht, Sozialrecht -

Arbeits- und Sozialrecht — zehn aktuelle Schnittstellen

Arbeitsrecht und Sozialrecht haben in der Praxis viele Schnittstellen. Ein Arbeitsrechtler ist ohne Grundkenntnisse im Sozialrecht nicht in der Lage, eine umfassende arbeitsrechtliche Beratungstätigkeit auszuüben. Dabei geht der Begriff „Sozialrecht“ weit über das Sozialgesetzbuch hinaus.
Dieser Beitrag stellt 10 aktuelle Schnittstellen zwischen Arbeits- und Sozialrecht dar.

{DB:tt_content:2566:bodytext}Einführung

Das Arbeitsrecht regelt auf der Individualebene die Rechtsbeziehungen zwischen einzelnen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Auf der kollektiven Ebene befasst es sich mit den Rechtsbeziehungen der Koalitionen, also der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände. Diese Koalitionen genießen einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz durch Art. 9 Abs. 3 GG.

Mit der Definition des Sozialrechts ist es schon wesentlich schwieriger. Das Sozialrecht kann nicht nur auf das Sozialgesetzbuch beschränkt werden. Es geht nicht nur um die Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II), die Arbeitsförderung (SGB III), die Krankenversicherung (SGB V), die Rentenversicherung (SGB VI), die Unfallversicherung (SGB VII), die Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII), die Rehabilitation- und Teilnahme behinderter Menschen (SGB IX), das Verwaltungsverfahren und der Sozialdatenschutz (SGB X), die Pflegeversicherung (SGB XI) und die Sozialhilfe (SGB XII).

Materiell-rechtlich geht es auch um die Sicherung des Sozialstaatspostulats. Letztendlich sind in einem funktionalen Begriff alle rechtlichen Regelungen darunter zu fassen, die eine besondere soziale Zielsetzung verfolgen. Dies lässt sich unmittelbar aus dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG herleiten. So sind auch Mieterschutzvorschriften, Verbraucherschutzvorschriften und der arbeitsrechtliche Kündigungsschutz oder das Bundesurlaubsgesetz im weitesten Sinne Sozialrecht.

Nun zu den aktuellen Schnittstellen:

I. Arbeitslosengeld II
Die Schnittstelle zwischen dem Arbeitsrecht und dem Arbeitslosengeld II ist schnell erreicht. Immer dann, wenn der Mandant aus einer Arbeitsstelle heraus arbeitslos wird und keinen bzw. keinen ausreichenden Anspruch auf Arbeitslosengeld I hat, rutscht er in das Arbeitslosengeld II. Die Regelungen dazu sind umfassend reformbedürftig, das hat das Bundesverfassungsgericht aktuell mitgeteilt. Hier wird natürlich insbesondere in den Härtefallregelungen weitere Arbeit auf Rechtsanwälte zukommen.

Noch interessanter ist jedoch der erste Gesetzentwurf zur Reform der Jobcenter, den Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) Ende Januar 2010 vorgestellt hat. Die Bundesarbeitsministerin scheut die Grundgesetzänderung, da sie hier auf die Hilfe der SPD angewiesen wäre.

Nun sollen Arbeitsagenturen und Kommunen auch künftig unter einem Dach ihre Leistungen erbringen. Es soll sich also faktisch für die Leistungsbezieher möglichst wenig ändern. Mit einer wichtigen Ausnahme: Künftig erhalten die Leistungsbezieher zwei Bescheide, einen von der Arbeitsagentur und einen von dem örtlichen Sozialträger.

Was bedeutet das für uns Rechtsanwälte? Bei den deutschen Sozialgerichten gingen im Jahr 2009 insgesamt fast 200.000 Klagen zu Hartz IV ein. Das waren 11,1 % mehr als 2008 und alle Experten erwarten, dass diese Zahlen nach dem neuen Urteil des Bundesverfassungsgerichts insbesondere hinsichtlich der besonderen Härtefälle steigen werden. Schon jetzt werden die Jobcenter mit Anträgen auf besondere Leistungen überhäuft.

Wenn aber bereits 2009 fast 200.000 Klagen eingereicht wurden und ab 2011 zwei Bescheide ergehen sollen, kann dies nur bedeuten, dass es dann fast 400.000 Klagen geben wird.

Ist das wirklich gewollt?

II. Altersdiskriminierung und Umgehung des Bundesverfassungsgerichts

Der EuGH hat mit Urteil vom 19.01.2010— C-555/07 entschieden, dass § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB altersdiskriminierend ist. Bei dieser Regelung ging es darum, dass bei der Berechnung der Kündigungsfristen Zeiten, die vor Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitsnehmers liegen, nicht berücksichtigt werden.

Wesentlich interessanter als diese Frage erscheint mir aus Anwaltssicht der Hinweis des EuGH zu sein, dass die nationalen deutschen Gerichte Bestimmungen, die dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehen, nicht anwenden dürfen.

In Art. 100 GG steht jedoch etwas anders: Danach hat ein Gericht, wenn es ein Gesetz für verfassungswidrig hält, das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.

Wie dem auch sei: Für Rechtsanwälte wird es nunmehr noch interessanter, einzelne Richter von der Europarechtswidrigkeit einzelner Normen zu überzeugen. Mutige Richter lassen dann unter Hinweis auf den EuGH das Gesetz unangewendet.

III. Abfindung mindert Arbeitslosengeld II
Gestaltungsbedarf für Rechtsanwälte zieht auch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 03.03.2009 — B 4 AS 47/08 R nach sich.

In diesem Fall sollte ein Arbeitnehmer aus einem arbeitsgerichtlichen Vergleich eine Abfindung erhalten. Sie wurde jedoch erst gezahlt, als der Arbeitnehmer ALG II bezogen hat. Somit wurde die Abfindung als Einkommen leistungsmindernd berücksichtigt.

Der Gesetzgeber hat darauf verzichtet, Abfindungszahlungen zu privilegieren und sie bei der Ermittlung des Bedarfs von der Anrechnung als Einkommen auszunehmen. Da es sich auch nicht um „zweckbestimmte Leistungen“ handelt, sind sie zwangsläufig als Einkommen zu berücksichtigen.

Rechtsgestaltende Anwälte bemühen sich daher, eine Abfindungszahlung nicht während des ALG II-Bezugs zur Auszahlung kommen zu lassen.

IV. Künstlersozialversicherung
Die Künstlersozialversicherung hat auch in der anwaltlichen Beratung in den vergangenen Jahren keinen großen und nennenswerten Bereich eingenommen. Das sollte sich geändert haben, seit die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) für die Überwachung der Beitragszahlungen zuständig ist. Da die DRV die gesetzliche Verpflichtung hat, alle vier Jahre Arbeitgeber zu prüfen, kommt eine Nichtabgabe von Beiträgen nunmehr wesentlich schneller ans Licht.

Mandanten müssen darauf hingewiesen werden, dass eine Abgabepflicht für alle Unternehmen besteht, die regelmäßig Aufträge an freie Künstler oder Publizisten vergeben und deren Leistungen verwerten. Für die Inanspruchnahme selbständiger künstlerischer oder publizistischer Leistung ist in diesen Fällen eine Künstlersozialabgabe zu zahlen.

Das betrifft also sowohl die Erstellung von Briefköpfen, die Gestaltung von Homepages als auch die Ausarbeitung von Unternehmensbroschüren.

Mein Tipp: Weisen Sie Ihren Mandanten nochmals darauf hin und halten Sie die Kommunikation damit aufrecht.

V. Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz
Im letzten Jahr wurde das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) geändert. Diese Änderung hat wenig Beachtung gefunden, kann jedoch praktisch erhebliche Auswirkungen haben.

Neu: Anspruch auf Elternzeit haben Arbeitnehmer auch, wenn sie mit ihrem Enkelkind in einem Haushalt leben und dieses Kind selbst betreuen und erziehen. Die weiteren Voraussetzungen sind im neuen Gesetzestext des § 15 Abs. 1a BEEG nachzulesen.

Erstmals ist also ein Anspruch auf Elternzeit für die Betreuung von Enkelkindern eingeführt worden.

VI. Besonderer Kündigungsschutz für Abfallbeauftragte
Kündigungsschutz ist Ausfluss des Sozialstaatsprinzips. Neben dem allgemeinen Kündigungsschutz existiert ein immer weiter ausufernder besonderer Kündigungsschutz. Rechtsanwälte müssen diesen besonderen Kündigungsschutz vor Ausspruch einer Kündigung oder bei Vertretung des Arbeitnehmers überprüfen.

Nicht nur Schwangere, Arbeitnehmer in Elternzeit, Schwerbehinderte und Inhaber von Bergmannversorgungsscheinen, Betriebsratsmitglieder, Personalratsmitglieder und Wahlbewerber haben Kündigungsschutz.

Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl weiterer Sonderkündigungsschutztatbestände. Insbesondere der Datenschutzbeauftragte und der Emissionsschutz- und Störfallbeauftragte sind hier zu nennen. Und eben auch der Abfallbeauftragte nach § 55 Abs. 3 KrW-/AbFG i.V.m. § 58 Abs. 2 BImSchG.

Diese Regelung ist durchaus praxisrelevant. Eine Vielzahl von Unternehmen ist gesetzlich dazu verpflichtet, eine oder mehrere Betriebsbeauftragte für Abfälle zu bestellen.

Falls einer solchen Kraft gekündigt werden soll, wird jedoch regelmäßig der Sonderkündigungsschutz vergessen.

VII. Gesundheitsvorsorgemaßnahmen
Arbeitgeber sind in den Aufgabenbereich der Gesundheitsförderung der Arbeitnehmer neu einbezogen. Nach § 3 Nr. 34 EStG sind erbrachte Leistungen des Arbeitgebers zur Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustands eines Arbeitnehmers und zur beruflichen Gesundheitsförderung steuerfrei. Sie dürfen im Kalenderjahr allerdings 500 € nicht übersteigen. Diese Zahlungen müssen zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht werden.

Begünstigt sind vor allem

  • Reduzierung von Bewegungsmangel,
  • Vorbeugung oder Reduzierung der Belastungen des Bewegungsapparats,
  • Stressbewältigung oder Spannung und
  • Einschränkung des Suchtmittelkonsums.

Auch extern durchgeführte Maßnahmen sind begünstigt. Schwierig wird es allerdings, wenn der Arbeitgeber Mitgliedsbeiträge an einen Sportverein oder an ein Fitnessstudio übernimmt oder bezuschusst. Dies ist nicht steuer- und sozialversicherungsfrei. Die Gesundheitsanforderungen sind dabei nicht erfüllt. Gleiches gilt für die Übernahme von Eintrittsgeldern für Schwimmbad oder Sauna.

VIII. Betriebliche Altersversorgung
Bereits mit Urteil vom 15.09.2009 — 3 AZR 17/09 hatte das BArbG entschieden, dass eine Entgeltumwandlung unzulässig ist, wenn dem Arbeitnehmer an Stelle von Barlohn eine Direktversicherung mit vollgezillmerten Tarifen zugesagt wird.

Nun hat das BAG mit Datum vom 16.02.2007 — 3 AZR 216/09 entschieden, dass Arbeiter bei Betriebsrenten regelmäßig nicht gegenüber Angestellten benachteiligt werden dürfen.

Hier kurz der Sachverhalt: Ehemalige Ford-Mitarbeiter hatten ihren früheren Arbeitgeber auf Aufstockung ihrer Betriebsrente verklagt. Sowohl Arbeiter als auch Angestellte erhielten für die ersten zehn Dienstjahre eine gleiche Betriebsrente. Bei weiteren anrechenbaren Dienstjahren wurde jedoch differenziert. Arbeiter erhielten eine geringere Aufstockung als Angestellte.

Das BAG erkannte zwar an, dass eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein kann, wenn hierdurch Unterschiede im durch die gesetzliche Rentenversicherung erreichten Versorgungsgrad ausgeglichen werden sollen. Dann müssen aber die unterschiedlichen Versorgungsgrade tatsächlich bezeichnend sein.

Das war im entschiedenen Fall nicht gegeben. Daher haben die Kläger einen Anspruch auf Aufstockung ihrer Betriebsrenten. Der Anspruch richtet sich dabei nicht gegen den Arbeitgeber, sondern auch gegen eine konzernübergreifende Gruppenunterstützungskasse, wenn der Arbeitnehmer zum Kreis der Begünstigten gehört.

Fazit: Eine erhebliche Gefahr für Arbeitgeber. Nachzahlungen drohen!

IX. Kurzarbeitergeld
Kurzarbeit führt zu einer Verkürzung der Arbeitszeit, im dramatischsten Fall bis auf „0“. In der Vergangenheit mussten Arbeitgeber für die Kurzarbeiterzeiten die anfallenden Sozialbeiträge zu 80 % übernehmen. Derzeit leistet die Bundesagentur die Hälfte der Sozialbeiträge. Die Höhe des Kurzarbeitergeldes entspricht dem Arbeitslosengeld. Arbeitnehmer erhalten also 60 % des ausgefallenen Nettolohns als Kurzarbeitergeld beziehungsweise 67 %, wenn die Voraussetzungen für den erhöhten Leistungssatz vorliegen. Das Kurzarbeitergeld ist steuerfrei, die Arbeitnehmer bleiben aber weiterhin versicherungspflichtig in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung. Die spätere Rentenhöhe senkt sich allerdings, da die Beiträge aus dem verringerten Verdienst der Arbeitnehmer gezahlt werden.

2009 wurde die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes auf 24 Monate ausgedehnt. Die Bundesregierung hat Ende 2009 beschlossen, dass für Kurzarbeit, mit der 2010 begonnen wird, eine Bezugsfrist von 18 Monaten gilt.

Fazit: Auch hier ist also weiterhin ein großes Betätigungsfeld für Rechtsanwälte gegeben.

X. Aufhebungsverträge
Aufhebungsverträge sind noch immer eines der wichtigsten HR-Tools. Eine Sperrzeit nach § 144 SGB III tritt nach einer Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit anlässlich des Urteils des BSG vom 12.07.2009 — B 11 a AL 47/08 R nicht ein, wenn ein wichtiger Grund für den Abschluss eines Aufhebungsvertrags vorliegt.

Dieser ist nun auch gegeben, wenn

  • eine Abfindung von 0,25 bis zu 0,5 Monatsentgelten pro Beschäftigungsjahr gezahlt wird und
  • der Arbeitgeber betriebsbedingt unter Einhaltung der Kündigungsfrist zum selben Zeitpunkt  gekündigt hätte und
  • die Kündigungsfrist eingehalten worden wäre und
  • der Arbeitnehmer nicht unkündbar war.

Fazit
In den Schnittstellen des Arbeits- und Sozialrechts gibt es immer wieder Neuerungen, hervorgerufen durch die Gesetzgebung, durch die Verwaltung oder durch die Gerichte.

Hinweis zum Abschluss eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags
Viele rechtliche Probleme können Sie ohne anwaltlichen Beistand auf betrieblicher Ebene lösen. Das gilt allerdings in den wenigsten Fällen für den Abschluss eines Aufhebungsvertrags.

Nur ein kompetenter Rechtsanwalt kann sämtliche Fallstricke in einer nachhaltigen systemischen Gesamtschau überblicken.

Er kann

  • rechtssicher das Beendigungsdatum unter Berücksichtigung der individuellen Kündigungsfrist errechnen,
  • eine angemessene Abfindung berechnen und rechtssicher vereinbaren,
  • dafür sorgen, dass die Bundesagentur für Arbeit noch nicht mal die Verhängung einer Sperrfrist bei dem Bezug von Arbeitslosengeld prüft,
  • Regelungen zu offenen Urlaubsansprüchen treffen,
  • durch geschickte Formulierungen auch auf tarifliche Ansprüche verzichten und damit eventuell die Abfindung erhöhen,
  • die Abfindungszahlung auch unter erbrechtlichen Gesichtspunkten absichern,
  • hinsichtlich einer allgemeinen Ausgleichs- oder Erledigungsklausel beraten,
  • die steuerlichen Aspekte der Abfindungszahlung erläutern,
  • dafür sorgen, dass Ihre Abfindung nicht auf das Arbeitslosengeld angerechnet wird,
  • Sie auf Ihre Verpflichtung zur Meldung bei der Arbeitsagentur binnen der gesetzlich vorgeschriebenen Frist hinweisen und
  • Ihre Ansprüche aus einer betrieblichen Altersversorgung aufrechterhalten.

 

Quelle: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Arno Schrader, Herford - Beitrag vom 24.02.10