Widerruft ein Verbraucher einen bereits erfüllten, außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Dienstleistungsvertrag, so ist er von der Zahlungspflicht befreit, wenn ihn der Unternehmer zuvor nicht über das Widerrufsrecht informiert hat. Das gilt nach dem EuGH auch für einen Wertersatzanspruch. Im Streitfall war ein Handwerker mit Elektroarbeiten in einem Haus beauftragt worden.
Darum geht es
Ein Verbraucher schloss mit einem Unternehmen einen Vertrag über die Erneuerung der Elektroinstallation seines Hauses.
Das Unternehmen versäumte es jedoch, ihn über das Widerrufsrecht zu unterrichten, das dem Verbraucher grundsätzlich während 14 Tagen zusteht, da der Vertrag außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmens abgeschlossen worden war.
Nach Erbringung seiner vertraglichen Leistungen legte das Unternehmen dem Verbraucher die entsprechende Rechnung vor.
Dieser beglich die Rechnung nicht, sondern widerrief den Vertrag. Er macht geltend, dass das Unternehmen keinen Anspruch auf Vergütung habe, da es versäumt habe, ihn über sein Widerrufsrecht zu unterrichten und da die Arbeiten vor Ablauf der Widerrufsfrist (die sich bei einem solchen Versäumnis um ein Jahr verlängere) ausgeführt worden seien.
Das mit einem Rechtsstreit über diesen Anspruch befasste deutsche Gericht vertritt die Auffassung, dass ein Verbraucher nach den Bestimmungen des deutschen Rechts, die zur Umsetzung der Richtlinie über die Rechte der Verbraucher erlassen worden seien, nicht für die vor Ablauf der Widerrufsfrist erbrachte Dienstleistung aufzukommen brauche, wenn der Unternehmer es versäumt habe, ihn über sein Widerrufsrecht zu unterrichten.
Das deutsche Gericht fragt sich jedoch, ob diese Richtlinie jeglichen Anspruch des Unternehmers auf „Wertersatz“ auch dann ausschließt, wenn dieser Verbraucher sein Widerrufsrecht erst nach Erfüllung eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags ausgeübt hat.
Auf diese Weise könnte der Verbraucher nämlich einen Vermögenszuwachs erlangen, was dem Grundsatz des Verbots ungerechtfertigter Bereicherung, einem allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts, zuwiderliefe.
Das deutsche Gericht hat daher den EuGH ersucht, die Richtlinie unter diesem Gesichtspunkt auszulegen.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Mit seinem Urteil beantwortet der EuGH das Ersuchen dahingehend, dass ein Verbraucher von jeder Verpflichtung zur Vergütung der Leistungen befreit ist, die in Erfüllung eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Dienstleistungsvertrags erbracht wurden, wenn der betreffende Unternehmer ihn nicht über sein Widerrufsrecht informiert hat und der Verbraucher sein Widerrufsrecht nach Erfüllung dieses Vertrags ausgeübt hat.
Das Widerrufsrecht soll den Verbraucher in dem besonderen Kontext des Abschlusses eines Vertrags außerhalb von Geschäftsräumen schützen.
In diesem Kontext steht der Verbraucher nämlich möglicherweise psychisch stärker unter Druck oder ist einem Überraschungsmoment ausgesetzt.
Daher ist die Information über das Widerrufsrecht für den Verbraucher von grundlegender Bedeutung und erlaubt ihm, die Entscheidung, ob er den Vertrag abschließen soll oder nicht, in Kenntnis der Sachlage zu treffen.
Hinsichtlich der Frage des vom Verbraucher auf diese Weise erzielten Vermögenszuwachses und des Verbots ungerechtfertigter Bereicherung weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Richtlinie den Zweck verfolgt, ein hohes Verbraucherschutzniveau sicherzustellen.
Dieses Ziel geriete indessen in Gefahr, falls zugelassen würde, dass einem Verbraucher in der Folge seines Widerrufs eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Dienstleistungsvertrags Kosten entstehen könnten, die in der Richtlinie nicht ausdrücklich vorgesehen sind.
EuGH, Urt. v. 17.05.2023 - C-97/22
EuGH, Pressemitteilung v. 17.05.2023