„Masern-Impfpflicht“: Verfassungsbeschwerden erfolglos

Das Bundesverfassungsgericht hat mehrere Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen, die sich gegen Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) über die Nachweispflicht einer Masernimpfung bzw. die daran anknüpfenden Folgen beim Zugang zu Kinderbetreuungseinrichtungen gerichtet hatten. Die Regelungen müssen bei Kombinationsimpfstoffen allerdings verfassungskonform ausgelegt werden.

Darum geht es

Die Beschwerdeführenden sind jeweils gemeinsam sorgeberechtigte Eltern sowie ihre minderjährigen Kinder, die kommunale Kindertagesstätten besuchen oder von einer Tagesmutter mit Erlaubnis zur Kindertagespflege nach § 43 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) betreut werden sollten. 

Sie wenden sich im Wesentlichen gegen die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes, die eine solche Betreuung lediglich dann gestatten, wenn die betroffenen Kinder gegen Masern geimpft sind und diese Impfung auch nachgewiesen wird.

Nach § 20 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 IfSG müssen unter anderem Personen, die in einer Gemeinschaftseinrichtung im Sinne von § 33 Nr. 1 und 2 IfSG (zum Beispiel Kindertageseinrichtung oder erlaubnispflichtige Kindertagespflege) betreut werden, einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern oder eine Immunität gegen Masern aufweisen. 

Die Pflicht, einen solchen Impfschutz aufzuweisen, gilt auch, wenn ausschließlich Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung stehen, die auch Impfstoffkomponenten gegen andere Krankheiten enthalten (§ 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG).

Kinder, die in solchen Gemeinschaftseinrichtungen betreut werden sollen, müssen der Einrichtungsleitung vor Beginn ihrer Betreuung einen Nachweis darüber vorlegen, dass ein ausreichender Impfschutz oder eine Immunität gegen Masern besteht oder sie aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden können (§ 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG). 

Wird für Kinder ab der Vollendung des ersten Lebensjahres kein derartiger Nachweis vorgelegt, dürfen sie nicht in Gemeinschaftseinrichtungen betreut werden (§ 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG). Nach § 20 Abs. 13 IfSG haben bei Minderjährigen deren Sorgeberechtigte für die Einhaltung der Verpflichtung zu sorgen.

Die minderjährigen Beschwerdeführenden sind nicht gegen Masern geimpft und verfügen über keine Immunität. Medizinische Kontraindikationen zu einer Masernimpfung bestehen bei ihnen nicht.

Die Verfassungsbeschwerden richten sich jeweils gegen die gesetzlichen Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes (§ 20 Abs. 8 Satz 1 bis 3, Abs. 9 Satz 1 und 6, Abs. 12 Satz 1 und 3, Abs. 13 Satz 1 IfSG) über die Pflicht zum Auf- und Nachweis einer Masernimpfung sowie das bei Ausbleiben des Nachweises geltende Betreuungsverbot in bestimmten Einrichtungen. 

Die Beschwerdeführenden sehen in der Pflicht zur Herbeiführung und zum Nachweis der Masernimpfung unter anderem unverhältnismäßige Eingriffe in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) der minderjährigen Beschwerdeführenden, insbesondere wegen der Pflicht, sich nicht nur gegen Masern impfen zu lassen, sondern aufgrund der Nichtverfügbarkeit von Monoimpfstoffen auch gegen andere Krankheiten. 

Zugleich werde in unverhältnismäßiger Weise in das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) eingegriffen.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die zulässigen Verfassungsbeschwerden haten vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Erfolg.

Die beanstandeten Regelungen des Infektionsschutzgesetzes greifen in mehrfacher Hinsicht jedenfalls zielgerichtet mittelbar in das Grundrecht der beschwerdeführenden Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ein. 

Entscheiden sich die Eltern in Wahrnehmung ihrer durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Gesundheitssorge gegen eine Impfung ihres Kindes, ist dies mit nachteiligen Konsequenzen für die ansonsten den Eltern - zur Wahrnehmung ihrer Sorge für die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Entfaltungsfreiheit ihrer Kinder - eröffneten Möglichkeiten einer Betreuung in bestimmten Gemeinschaftseinrichtungen verbunden. 

Art und Gewicht dieser Konsequenzen für das die Gesundheitssorge betreffende Elternrecht sind dergestalt, dass sie nach Zielsetzung und Wirkung einem unmittelbaren Eingriff in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG entsprechen. 

Die Wirkungen der Kombination aus Pflicht zum Nachweis der Masernimpfung und Verlust der Möglichkeit der Inanspruchnahme staatlicher Betreuungsangebote beziehungsweise fehlender Durchsetzbarkeit des Anspruchs auf einrichtungsbezogene frühkindliche und vorschulische Förderung sind denen einer zwangsweise gegen den Elternwillen durchgeführten Masernimpfung von Kindern weitgehend äquivalent.

Die mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen Regelungen greifen zudem - ebenfalls zielgerichtet mittelbar - in das Grundrecht der beschwerdeführenden Kinder auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein oder beeinträchtigen alternativ- abhängig von der Entscheidung der Eltern - das Recht der Kinder auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG). 

Nach Art und Gewicht wirken die beanstandeten Vorschriften in einer Weise auf die den sorgeberechtigten Eltern anvertraute Entscheidung über die körperliche Unversehrtheit ihrer Kinder ein, dass sie als zielgerichteter mittelbarer Eingriff in das Recht der Kinder aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu bewerten sind. 

Die Masernschutzimpfung wirkt durch das Einbringen eines Stoffes und die damit verbundenen Nebenwirkungen auf die körperliche Integrität der Kinder ein. 

Zwar hindert das Infektionsschutzgesetz Eltern nicht daran, auf eine Masernschutzimpfung bei ihren Kindern zu verzichten. Allerdings geht dann wegen des in § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG angeordneten Betreuungsverbots der in § 24 SGB VIII eingeräumte Anspruch auf Förderung der Kinder in bestimmten Einrichtungen verloren oder kann jedenfalls nicht mehr durchgesetzt werden. 

Wird eine solche frühkindliche oder vorschulische Betreuung und Förderung von den sorgeberechtigten Eltern gewünscht, geht von den bei Ausbleiben des Impfnachweises eintretenden Folgen ein starker Anreiz aus, die Impfung vornehmen zu lassen und damit auf die körperliche Unversehrtheit der Kinder durch die Verabreichung des Impfstoffs einzuwirken. 

Dieser vom Gesetzgeber intendierte Druck auf die Eltern, die Gesundheitssorge für ihre Kinder in bestimmter Weise auszuüben, kommt in seiner Wirkung dem unmittelbaren Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gleich.

Die Eingriffe sowohl in das Recht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und in die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) der Kinder sind verfassungsrechtlich allein bei verfassungskonformer Auslegung von § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG gerechtfertigt. Dann genügen sie den Anforderungen des Grundsatzes des Gesetzesvorbehalts und sind im verfassungsrechtlichen Sinn verhältnismäßig.

Die angegriffenen Regelungen genügen den aus dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts folgenden Anforderungen nur bei verfassungskonformer Auslegung. 

Wäre § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG so zu verstehen, dass die Norm auch gilt, wenn nur Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung stehen, die weitere Impfstoffkomponenten als die bei Verabschiedung des Gesetzes verfügbaren Impfstoffe enthielten, verstieße sie gegen den Grundsatz des Gesetzesvorbehalts. 

§ 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG kann jedoch verfassungskonform so auslegt werden, dass die daraus resultierende Pflicht zum Nachweis einer Masernimpfung bei ausschließlicher Verfügbarkeit von Kombinationsimpfstoffen nur dann gilt, wenn es sich dabei um solche handelt, die keine weiteren Impfstoffkomponenten enthalten als die gegen Masern, Mumps, Röteln oder Windpocken. 

Allein auf Mehrfachimpfstoffe gegen diese Krankheiten beziehen sich die vom Gesetzgeber des Masernschutzgesetzes getroffenen grundrechtlichen Wertungen. Mit diesem Verständnis werden die Grenzen verfassungskonformer Auslegung nicht überschritten. 

Zwar enthält der Wortlaut von § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG keine Beschränkung derjenigen Krankheiten, bezüglich derer Impfstoffkomponenten in einem Mehrfachimpfstoff enthalten sein dürfen. 

Durch die verfassungskonforme Beschränkung auf die vorgenannten Mehrfachimpfstoffkombinationen wird jedoch dem Gesetz weder ein entgegengesetzter Sinn verliehen noch der normative Gehalt der Norm grundlegend neu bestimmt oder das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt.

Die angegriffenen Regelungen sind in dieser verfassungskonformen Auslegung auch verhältnismäßig.

Die in § 20 Abs. 8, 9 und 12 IfSG festgelegten Pflichten verfolgen ebenso wie das bei Ausbleiben des Nachweises eintretende Betreuungsverbot (§ 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG) einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck, nämlich den Schutz vulnerabler Personen vor einer für sie gefährlichen Masernerkrankung. 

Gleiches gilt für die Übertragung der Erfüllung der Nachweispflicht von Kindern auf ihre Eltern in § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG. 

Die Annahme des Gesetzgebers, von Personen, die keinen ausreichenden Impfschutz oder eine Immunität gegen Masern aufweisen, könnten Gefahren für das Leben und die Gesundheit insbesondere von Personen ausgehen, die sich selbst nicht durch eine Impfung vor einer Masernerkrankung zu schützen vermögen, beruht auf zuverlässigen Grundlagen und hält auch der strengen verfassungsrechtlichen Prüfung stand. 

Innerhalb seines allerdings wegen der gesicherten Erkenntnislage und des Gewichts der Grundrechtseingriffe engen Einschätzungsspielraums konnte der Gesetzgeber in Einklang mit dem Verfassungsrecht von einer Gefahrenlage durch eine Masernerkrankung für verletzliche Personen ausgehen, insbesondere Säuglinge oder andere Personen, die sich nicht selbst durch eine Impfung schützen können.

Die auf Gemeinschafts- und Gesundheitseinrichtungen bezogene Auf- und Nachweispflicht ist ebenso wie das bei ausbleibendem Nachweis geltende Betreuungsverbot (§ 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG) im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet, die mit dem Masernschutzgesetz verfolgten Zwecke zu erreichen. 

Sie können sowohl dazu beitragen, die Impfquote in der Gesamtbevölkerung zu erhöhen als auch dazu, diese in solchen Gemeinschaftseinrichtungen zu steigern, in denen vulnerable Personen betreut werden oder zumindest regelmäßig Kontakt zu den Einrichtungen und den dort betreuten und tätigen Personen haben.

Die Pflichten, bei Betreuung in bestimmten Gemeinschaftseinrichtungen eine Masernimpfung auf- und nachzuweisen, sowie das bei Ausbleiben des Nachweises geltende Betreuungsverbot sind sowohl zum Schutz des Einzelnen als auch zum Schutz der Bevölkerung vor Masern im verfassungsrechtlichen Sinne erforderlich. 

Unter Berücksichtigung des dem Gesetzgeber hier zukommenden Einschätzungsspielraums ist nicht erkennbar, dass andere, in der Wirksamkeit eindeutig gleiche, aber die betroffenen Grundrechte von Kindern und Eltern weniger stark einschränkende Mittel zur Verfügung standen. 

Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber andere Maßnahmen zur Gewährleistung des angestrebten Individual- und Gemeinschaftsschutzes als nicht sicher gleich wirksam angesehen hat. Dafür konnte er sich auf hinreichend tragfähige Grundlagen stützen.

Die beanstandeten Vorschriften über die Pflicht zum Auf- und Nachweis einer Masernimpfung sowie das bei Ausbleiben des Nachweises geltende Betreuungsverbot erweisen sich auch als angemessen und damit verhältnismäßig im engeren Sinn. 

Trotz des nicht unerheblichen Gewichts der mittelbaren Eingriffe in das Grundrecht der Kinder aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und in das der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG werden diese jeweils nicht unzumutbar im Hinblick auf den Schutz von Leben und Gesundheit durch eine Masernerkrankung gefährdeter Personen belastet.

Die angegriffenen Vorschriften greifen mit nicht unerheblichem Gewicht zielgerichtet mittelbar sowohl in das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG als auch in die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) der Kinder ein. 

Die Eingriffe erfolgen dabei in unterschiedlicher Weise und mit verschiedenem Gewicht. Das Eingriffsgewicht in das Grundrecht der beschwerdeführenden Kinder aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG korrespondiert mit dem des Eingriffs in das auf die Gesundheitssorge bezogene Elternrecht.

Demgegenüber verfolgt der Gesetzgeber mit den angegriffenen Vorschriften den Schutz eines überragend gewichtigen Rechtsguts, der hier auch dringlich ist. Die angegriffenen Vorschriften dienen dem Schutz vor einer Masernerkrankung. 

Demnach ist insoweit das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit betroffen, wobei es um den Schutz einer Vielzahl von Personen, insbesondere von vulnerablen Personen geht, die sich nicht selbst durch eine Impfung wirksam schützen können. 

Dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung kommt ein hohes Gewicht zu. Aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG kann daher eine Schutzpflicht des Staates folgen, die eine Risikovorsorge gegen Gesundheitsgefährdungen umfasst. 
Angesichts der sehr hohen Ansteckungsgefahr bei Masern und den mit einer Masernerkrankung verbundenen Risiken eines schweren Verlaufs besteht eine beträchtliche Gefährdung des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit Dritter. 

Die Annahme des Gesetzgebers, ohne die in den angegriffenen Regelungen getroffenen Maßnahmen würde die Impfquote weiter stagnieren und gleichzeitig könne die Anzahl der Masernausbrüche in Kindertagesstätten und in der Kindertagespflege steigen, beruht auf tragfähigen Grundlagen und ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Ohne Verstoß gegen Verfassungsrecht hat der Gesetzgeber mit den angegriffenen Auf- und Nachweispflichten sowie den bei deren Ausbleiben eintretenden Folgen dem Schutz durch eine Maserninfektion gefährdeter Menschen den Vorrang vor den Interessen der beschwerdeführenden Kinder und Eltern eingeräumt. 

Die damit verbundenen nicht unerheblichen Grundrechtseingriffe sind ihnen zugunsten des Gesundheitsschutzes vor den Gefahren einer Maserninfektion von verletzlichen Personen und damit einem Gemeinwohlbelang von hohem Rang derzeit zuzumuten.

Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber für die von ihm geförderte (früh)kindliche Betreuung (§ 24 Abs. 1 bis 3 SGB VIII) mit den angegriffenen Regelungen Maßnahmen ergriffen hat, die Maserninfektionen von Kindern vermeiden oder zumindest deutlich reduzieren sollen. 

Im Rahmen der Abwägung ist zu berücksichtigen, dass in den hier gegenständlichen Gemeinschaftseinrichtungen zur Kinderbetreuung nach den statistisch belegten Impfquoten in den dort betreuten Altersgruppen keine zum Gemeinschaftsschutz ausreichenden Quoten bestehen. 

Zugleich haben die betreuten Kinder typischerweise Kontakte zu besonders schutzwürdigen Personen, die eine hohe altersspezifische Inzidenz für Masern sowie eine gesteigerte Wahrscheinlichkeit aufweisen, im Falle einer Maserninfizierung Komplikationen auszubilden, sich aber wegen einer Kontraindikation nicht selbst wirksam durch eine Impfung schützen können (zum Beispiel Kinder im ersten Lebensjahr, Schwangere). 

Mit der Bindung der Auf- und Nachweispflicht einer Masernimpfung an die Betreuung in Gemeinschaftseinrichtungen im Sinne von § 33 Nr. 1 und 2 IfSG hat der Gesetzgeber die Reichweite der angegriffenen Regelungen gegenständlich begrenzt. 

Dementsprechend führt das Ausbleiben des in § 20 Abs. 8 und 9 IfSG geforderten Auf- und Nachweises der Masernimpfung auch nicht zum Ausschluss jeglicher frühkindlichen oder vorschulischen Förderung außerhalb der Familie. 

Die anderweitige Betreuung von Kindern in den betroffenen Alterskohorten bleibt auch familienübergreifend jedenfalls im selbstorganisierten privaten Bereich zulässig.

Trotz der nicht unerheblichen Eingriffe in das Abwehrrecht der Kinder aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und das Grundrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG konnte der Gesetzgeber der Schutzpflicht für die körperliche Unversehrtheit durch eine Masernerkrankung gefährdeter Personen den Vorrang einräumen. 

Für die Schutzpflicht streiten die hohe Übertragungsfähigkeit und Ansteckungsgefahr sowie das nicht zu vernachlässigende Risiko, als Spätfolge der Masern eine für gewöhnlich tödlich verlaufende Krankheit (die subakute sklerosierende Panenzephalitis) zu erleiden. 

Demgegenüber treten bei einer Impfung nahezu immer nur milde Symptome und Nebenwirkungen auf; ein echter Impfschaden ist extrem unwahrscheinlich. Die Gefahr für Ungeimpfte, an Masern zu erkranken, ist deutlich höher als das Risiko, einer auch nur vergleichsweise harmlosen Nebenwirkung der Impfung ausgesetzt zu sein. 

Hinzu kommt, dass die realistische Möglichkeit der Eradikation der Masern die staatliche Schutzpflicht stützt, weshalb selbst bei einer sinkenden Inzidenz von Krankheitsfällen das Abwehrrecht der Beschwerdeführenden, in das die Auf- und Nachweispflicht zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit Impfunfähiger mittelbar eingreift, aufgrund geringerer Gefahrennähe weniger Gewicht für sich beanspruchen kann als der vom Gesetzgeber verfolgte Schutz impfunfähiger Grundrechtsträger.

Es ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber im Rahmen seiner Prognose die Gefahren in der Weise bewertet, dass das geringe Restrisiko einer Impfung im Vergleich zu einer Wildinfektion mit Masern bei gleichzeitiger Beachtung der - auch den betroffenen Kindern zugutekommenden - Impfvorteile zurücksteht. 

Im Ergebnis führt die Masernimpfung daher zu einer erheblich verbesserten gesundheitlichen Sicherheit des Kindes. Dem Individualschutz durch die Impfung zugunsten der Kinder kommt auch in der Abwägung der Interessen durch eine Maserninfektion zumindest in ihrer Gesundheit gefährdeter Personen einerseits mit dem Elternrecht andererseits Bedeutung zu. 

Da auch das die Gesundheitssorge betreffende Recht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG kindeswohlorientiert auszuüben und die Vornahme empfohlener Impfungen der Gesundheit des Kindes dienlich ist, kommt dem Eingriff in das Elternrecht insoweit kein besonders hohes Gewicht zu. 

Eine Abwägung zugunsten der Gesundheit von Personen, die sich selbst nicht durch Impfung vor einer Masernerkrankung schützen können und deshalb nur über eine Herdenimmunität geschützt werden können, ist daher verfassungsrechtlich unbedenklich.

Die Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit der Kinder und das Elternrecht ihrer sorgeberechtigten Eltern sind auch nicht insoweit unzumutbar, als § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG eine Auf- und Nachweispflicht selbst dann vorsieht, wenn zur Erlangung des Masernimpfschutzes ausschließlich Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung stehen. 

Zwar führt dies faktisch dazu, dass die Kinder bei entsprechender Entscheidung ihrer Eltern die Impfung mit zusätzlichen Wirkstoffen hinnehmen müssen, derer es zum Erfüllen der Auf- und Nachweispflicht aus § 20 Abs. 8 und 9 IfSG nicht bedarf und auf deren Schutzeffekte das Gesetz nicht zielt. 

Dennoch überwiegen im Ergebnis die für den Aufweis anhand eines Mehrfachimpfstoffs sprechenden Argumente. Denn die aktuell in den Mehrfachimpfstoffen enthaltenen weiteren Wirkstoffe betreffen ebenfalls von der Ständigen Impfkommission empfohlene, also eine positive Risiko-Nutzen-Analyse aufweisende Impfungen. 

Sie sind deshalb ihrerseits grundsätzlich kindeswohldienlich, wenngleich insoweit weder ein mit Masern vergleichbar hohes Infektionsrisiko besteht noch entsprechende schwere Krankheitsverläufe eintreten können.

Dem steht die Dringlichkeit des Gesundheitsschutzes derjenigen Personen gegenüber, die sich nicht durch Impfung schützen können, mittels Gemeinschaftsschutz. 

Für diesen bedarf es der genannten Impfquote von 95 Prozent, die gerade auch in den Altersgruppen nicht erreicht ist, die in den hier betroffenen Gemeinschaftseinrichtungen betreut werden. 

In der Gesamtabwägung ist es vertretbar, dass der Gesetzgeber den Schutz vulnerabler Personen gegen Masern so hoch gewertet hat, dass dafür auch die Grundrechtsbeeinträchtigungen durch den vom Gesetzgeber mit der Anordnung in § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG in Kauf genommenen Einsatz der aktuell einzig verfügbaren Kombinationsimpfstoffe hinzunehmen sind. 

Auch weil damit objektiv ein Schutz gegen die weiteren durch Kombinationsimpfstoffe erfassten Krankheiten verbunden ist, ist das Interesse, dass mangels verfügbarer Monoimpfstoffe Kombinationsimpfstoffe zum Einsatz kommen, höher zu gewichten als die Interessen der betroffenen Kinder und Eltern, diese nicht verwenden zu müssen.

Die angegriffenen Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes über die Auf- und Nachweispflicht sowie das Betreuungsverbot in Einrichtungen nach § 33 Nr. 1 und 2 IfSG bei ausbleibendem Nachweis verletzen die beschwerdeführenden Kinder auch nicht in ihrem Recht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG. 

Die von den beschwerdeführenden Kindern als gleichheitswidrig gerügten Differenzierungen sind durch Sachgründe gerechtfertigt.

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 - 1 BvR 469/20, 1 BvR 472/20, 1 BvR 471/20, 1 BvR 470/20

Quelle: BVerfG, Pressemitteilung v. 18.08.2022

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