Mit Wirkung zum 01.01.2021 ist § 4 Abs. 2 InsVV durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG – v. 22.12.2020, BGBl I, 3256) dahingehend angepasst worden, dass hinsichtlich der Höhe der Zustellauslagen eine Bezugnahme auf Nr. 9002 KV-GKG etabliert wurde.
Über die zu honorierenden Zustellauslagen gibt es unterschiedliche Ansichten. Sind durch die Bezugnahme auf Nr. 9002 KV-GKG damit die ersten zehn Zustellungen nicht erstattungsfähig, oder sind ab der elften Zustellungen alle Zustellungen (also auch die erste bis zehnte) zu erstatten?
Zustellauslagen erst ab der elften Zustellung?
Zwischenzeitlich häufen sich die Ansichten, die eine Honorierung solcher Zustellauslagen erst ab der elften Zustellung vorsehen. Das LG Göttingen (Beschl. v. 25.02.2022 – 10 T 55/22) hat nun entschieden, dass eine Honorierung erst ab der elften Zustellung erfolgen soll.
Dies sei – so das Gericht – klarer Wille des Gesetzgebers gewesen. Grundsätzlich erkennt das LG Göttingen aber an, dass ein „Nebeneinander“ von Auslagenpauschale und (zusätzlichen) Zustellauslagen auch nach dem 01.01.2021 weiterhin denkbar bleibt.
Widersprechende Meinungen
Das LG Göttingen widerspricht damit einer Entscheidung des AG Potsdam (AG Potsdam, Beschl. v. 30.12.2021 – 6.50 IK 110/21), welches nur einen Ansatz der Pauschale oder eben eines belegten Einzeleinsatzes sieht.
Das AG Potsdam sieht seit dem 01.01.2021 eine Anpassung durch die Neuregelungen der InsVV dahingehend, dass die Zustellauslagen eben geregelt wurden und gesetzlich in der Regelung eben keine „zusätzliche“ oder besondere Erstattung vorgesehen werde, anders als etwa bei der (zusätzlichen) Vermögensschadenhaftpflichtversicherung (ab einem bestimmten zusätzlichen Haftungsaufwand).
Begründet wird dieser Ansatzpunkt mit der Historie der Gesetzesänderung, wonach dieser Ansatz ein Ergebnis des Wunschs von NIVD (Neue Insolvenzrechtsvereinigung Deutschlands e.V.) und VID (Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands) entspreche.
Deren Reformvorschlag habe hinsichtlich der besonderen Kosten aus einer zusätzlichen Haftpflichtversicherung i.S.v. § 4 Abs. 3 InsVV ausdrücklich vorgesehen, dass die Kosten einer solchen Mehrversicherung neben einem Pauschbetrag nach § 8 Abs. 3 InsVV zu erstatten wären.
Das Problem einer Auslagenpauschale neben einem Einzelersatz besonderer Kosten wurde daher nach Ansicht des AG Potsdam also im Rahmen des Reformvorschlags erkannt und besonders behandelt. Da es aber nur für die Mehrversicherung, nicht aber für die Zustellauslagen geregelt worden sei, muss nach Ansicht des AG Potsdam im Umkehrschluss davon auszugehen sein, dass eben hinsichtlich der Zustellauslagen keine besondere Erstattung in Betracht komme.
Bei der Chance, eine bestehende und bekannte Regelungslücke zu klären, habe man folglich bewusst sich für einen anderen Weg entschieden, nämlich der Subsumierung der Zustellauslagen unter die allgemeinen Kostenregeln.
Wahl zwischen Pauschale und Einzelansatz
Nach dem Ansatz des AG Potsdam wird die bisherige Streitfrage elegant gelöst, indem es nur noch dann einen Ansatz von Zustellauslagen gibt, wenn sich der Insolvenzverwalter für den sogenannten Einzelansatz von Auslagen entscheidet.
Nach § 8 Abs. 3 InsVV kann der Verwalter nach seiner Wahl anstelle der tatsächlich entstandenen Auslagen einen Pauschsatz fordern, der im ersten Jahr 15 %, danach 10 % der Regelvergütung, höchstens jedoch 350 € je angefangenen Monat der Dauer der Tätigkeit des Verwalters beträgt.
Der Pauschsatz darf insgesamt 30 % der Regelvergütung nicht übersteigen. Da gesetzlich „nur“ der Pauschansatz begrenzt ist, kommt de facto bei einem Einzelansatz keine Begrenzung in Betracht. Der Insolvenzverwalter kann daher alles ansetzen.
Setzt er – im Rahmen eines Einzelansatzes – dann Zustellauslagen an, so „normiert“ die Bezugnahme auf Nr. 9002 KV-GKG dann wiederum deren Höhe von 3,50 € je Zustellung. Erst und nur soweit sich der Insolvenzverwalter für einen Einzelansatz entscheidet, „lebt“ folglich die bereits mehrfach erörterte Streitfrage wieder auf, ob dann die ersten zehn Zustellungen analog Nr. 9002 KV-GKG generell nicht in Ansatz gebracht werden können, oder
ob – ähnlich den Zuschlägen – die ersten zehn Zustellungen nur als Bagatellgrenze zu betrachten sind und ab der elften Zustellung alle Zustellungen des Verfahrens (also auch die ersten zehn) ansetzbar sind.
Für eine generelle Absetzung |
Für einen denkbaren Ansatz, insbesondere ab elften Zustellung |
Wahlrecht: entweder Pauschale (inkl. aller Zustellungen) oder Einzelansatz |
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Abzug der ersten zehn Zustellungen |
Zustellungen 1–10 „ab der elften Zustellung“, da die Grenze eine Bagatellgrenze bilde, ab deren Überschreiten „alle“ Zustellungen gesondert ansatzfähig sind. |
Entweder Einzelansatz aller Auslagen, auch der Zustellauslagen (dann sind die ersten zehn „frei“), oder Pauschale ohne gesonderte Zustellauslagen |
AG Norderstedt, Beschl. v. 21.12.2021 – 65 IK 27/21 | AG Karlsruhe, Beschl. v. 08.10.2021 – 30 IK 31/21 | AG Potsdam, Beschl. v. 30.12.2021 – 6.50 IK 110/21 |
AG Ludwigshafen, Beschl. v. 14.02.2022 – 3b IK 26/21 Lu | Graeber/Graeber, InsVV-Online, § 4 Rdnr. 31 | |
AG Leipzig, Beschl. v. 21.12.2021 – 401 IK 351/21 | AG Stade, Beschl. v. 10.01.2022 – 73 IK 106/21 | |
AG Hamburg, ZVI 2022, 86, 87 | ||
AG Dresden, Beschl. v. 24.01.2022 – 549 IK 920/21 | ||
LG Göttingen, Urt. v. 25.02.2022 – 10 T 55/22 |