Haarmeyer (ZInsO 2022, 927) liefert – einmal mehr muss man leider sagen – ein sehr düsteres Bild betreffend die Praxis der Vergütungsfestsetzung. Während „zuletzt“ die Insolvenzverwalter von ihm stark kritisiert wurden (siehe der Beitrag in ZInsO 2022, 927), scheinen nun die Gerichte „die Wurzel“ allen Übels zu sein.
Ob zu Recht oder zu Unrecht – darüber müssen die Fachleute kaum streiten, denn derlei Aussagen sind bekannt und zu erwarten. Tatsächlich aber muss man sich das Wesen des Insolvenzverfahrens und auch der Vergütungsfestsetzung vor Augen halten. Im Insolvenzverfahren herrscht der Grundsatz der Gläubigerautonomie vor.
Dieser Grundsatz besagt, dass der Gläubigerwille oberstes Gut in einem Verfahren darstellt, letztlich also die Gläubiger selbst das Korrektiv gegenüber dem freien (und grundrechtlich geschützten) Amt und Beruf des Insolvenzverwalters bilden. Materiell-rechtlich sind Entscheidungen dem Insolvenzgericht weitestgehend verwehrt.
Dies folgt dem Grundsatz, dass die wirtschaftliche „Leitung“ und Zielausrichtung eines Verfahrens in den Händen der Gläubiger selbst liegen sollte. Nur das formelle Verfahren an sich, die formelle Rechtsaufsicht bleibt folglich dem Gericht (im Grundsatz) überlassen.
Grundsatz der Gläubigerautonomie analog in der Vergütungsfestsetzung
Demselben Grundsatz folgt auch das Verfahren um die Vergütungsfestsetzung. Das Gesetz regelt hier in § 2 InsVV eine Regelvergütung, die „i.d.R.“ eben als angemessen betrachtet werden muss.
Das Gesetz selbst (§ 63 InsO) regelt aber auch, dass der Insolvenzverwalter für seinen aufwendigen und haftungsrelevanten Beruf „angemessen“ honoriert werden muss. Sofern sich also „Angemessenheit“ und „Regelvergütung“ nicht decken, kann diese Angemessenheitsvermutung auch durch konkrete Darlegung widerlegt werden.
Dabei ist erst einmal auf die Darlegung des Insolvenzverwalters abzustellen, der anhand seiner konkreten Kosten und anhand seines belegbaren Aufwands einen höheren Aufwand beansprucht. Dem gegenüber steht das Korrektiv der Gläubiger. Diese „beaufsichtigen“ den Insolvenzverwalter materiell-rechtlich und haben (müssen!) sich einzubringen, wenn insoweit Bedenken bestehen.
Letztlich schmälert jede zu hohe Festsetzung auch die Quote der Gläubiger. Folglich liegt es an den Gläubigern, zu intervenieren. Wie im Insolvenzverfahren an sich grundsätzlich auch bedeutet Gläubigerautonomie, dass insoweit vom Betroffenen „Handlungsbedarf“ besteht.
So können Insolvenzgläubiger im Verfahren ihre Zustimmung zu besonders bedeutsamen Rechtshandlungen verweigern (§160 InsO), in der ersten Gläubigerversammlung über die Person des Verwalters bestimmen und mit ihrer Stimmgewalt den weiteren Weg des Verfahrens vorgeben.
Insolvenzgericht bilden äußeren Rechtsrahmen
Die Insolvenzgerichte bilden lediglich den äußeren Rechtsrahmen, in dessen Wirkungskreis sich die Agierenden frei bewegen. Das Gericht selbst „lenkt und leitet“ nicht (!!). Das Gericht ist im Parteibetrieb neutral und nicht der Interessenvertreter der Gläubiger. Dieses Prinzip gilt natürlich auch für die Festsetzung.
Insoweit besteht für die Gerichte ein sogenanntes „gebundenes Ermessen“. An dieser Stelle sieht dann der Gesetzgeber gleichwohl dann auch die Gerichte in der Pflicht. Wenn die Vergütung einen Ermessensspielraum überschreitet, also „unangemessen“ ist, kann und muss seitens der Gerichte interveniert werden.
System der InsVV
Grundsätzlich ist aber auch auf das System der InsVV abzustellen. Der Gesetzgeber hat explizit die InsVV in ihrer jetzigen Ausgestaltung geschaffen, sich dabei explizit nicht für ein starres System von Festgebühren entscheiden, sondern bewusst – um allen Verfahren individuell gerecht zu werden – auf einen Ermessensrahmen abgestellt.
Wie so oft gilt dabei: Ermessen kann und muss ausgeübt werden, wird aber wie in anderen Gebieten auch stets unterschiedlich ausfallen.
Keiner käme auf die Idee, im Strafverfahren eine unterschiedliche Strafzumessung im Einzelfall zu kritisieren oder im Zivilverfahren unterschiedliche Zumessungen anzuprangern. Gibt der Gesetzgeber einen Rahmen vor, so hat er sich bewusst gegen eine starre, feste Zuordnung einer Vergütung entschieden.
Insoweit ist es dann aber auch bewusst eine Ermessensentscheidung, die bei jeder Vergütungsfestsetzung individuell und naturgemäß abhängig vom Einzelfall und dem jeweiligen Sachverhalt unterschiedlich ausfallen muss und wird.
Lässt die InsVV einen entsprechenden Spielraum bei der Festsetzung der Vergütung zu, so kann dieser soweit er sich im rechtlichen Rahmen bewegt, auch nicht beanstandet werden. Soweit Haarmeyer vom Tod der InsVV und einer empirischen Belegung dessen spricht, verkennt der Beitrag, dass gerade die InsVV (erstmals) zum 01.01.2021 angepasst wurde.
Vergrößertes Aufgabenspektrum
Das Zuschlagswesen selbst ist eine Folge eines sich veränderten Aufgabenspektrums, welches bei Schaffung der InsVV noch nicht ersichtlich war. Immer mehr und immer schwierigere Aufgaben werden den Verwalterkanzleien abverlangt. Internationale und ein Sammelsurium an rechtlichen (neuen) Normen gilt es einzuhalten.
Die Vielzahl der Zuschläge ist daher nachvollziehbar und letztendlich ein Abbild des „veralteten“ Vergütungssystems bis dahin. „Empirische“ Untersuchungen zuvor dürften kaum aussagekräftig sein. Seit dem 01.01.2021 jedenfalls wurde die InsVV (erstmals) angepasst. Auch danach lassen sich Zahlen empirisch schlecht abbilden.
Grundsatz der Querfinanzierung
Zum einen herrscht der bekannte Grundsatz der Querfinanzierung vor. Dieser besagt, dass der Verwalter nicht in jedem Verfahren „auskömmlich“ vergütet werden muss, solange die „Mischung“ aller Verfahren stimme.
Mit anderen Worten: Wenig lukrative Verfahren können und müssen mit einträglicheren Verfahren kompensiert werden. Eine empirische Untersuchung müsste folglich nicht nur gut vergütete Verfahren betrachten, sondern auch gegenüberstellen, wie viele „unwirtschaftliche“ Verfahren zu verzeichnen sind und welchen Kostenaufwand ein Insolvenzverwalter hatte.
In den überwiegenden Fällen aller Verfahren handelt es sich zudem um sogenannte Klein- oder Kleinstverfahren, bei denen nur die sogenannte „Mindestvergütung“ zum Tragen kommt. Diese wurde zwar um 40 % zum 01.01.2021 angehoben, aber Sie, liebe Leserinnen und Leser, dürfen selbst entscheiden, ob für eine teils jahrelange Tätigkeit eine Vergütung von 1.400 € (bei Verbrauchern 1.120 €) „angemessen“ ist.
Leider zeigt sich Revue passierend immer wieder, dass nicht das Gros aller Fälle, sondern häufig gerade tatsächlich überzogene Einzelfälle dafür herhalten müssen, ein gesamtes Berufsbild – seien dies Richter, Rechtspfleger oder aber auch Insolvenzverwalter – zu verunglimpfen.
Tatsächlich ist das deutsche Insolvenzverfahren international sehr hoch angesehen. Die absolut überwiegende Zahl der Insolvenzverwalter agiert korrekt und nicht überzogen, und auch die Gerichte arbeiten zuverlässig und gewissenhaft. Doch manchmal scheint ein seriöses Bild weniger gut zu vermarkten sein.