In einem Verfahren zur Übertragung der elterlichen Sorge muss ein Kind regelmäßig ab Vollendung des dritten Lebensjahres persönlich angehört werden. Unterbleibt die Anhörung kann dies einen schwerwiegenden Verfahrensmangel begründen. Eine Anhörung wird auch nicht ohne weiteres durch eine Anhörung in einem früheren Umgangsverfahren entbehrlich. Das hat das OLG Saarbrücken entschieden.
Sachverhalt
Antragstellerin und Antragsteller – die Ehe ist mittlerweile geschieden - sind Eltern der betroffenen Kinder D und E. Beide Kinder leben bei der Antragstellerin, der mit Zustimmung des Antragsgegners das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen wurde. Der Umgang des Antragsgegners wurde in mehreren gerichtlichen Vergleichen protokolliert, wobei D im Januar 2016 persönlich angehört wurde.
Die Antragstellerin beantragte im Mai 2017 die gesamte elterliche Sorge für beide Kinder; der Antragsgegner lehnte das ab. Daraufhin wurde ein Verfahrensbeistand gerichtlich bestellt. Im Erörterungstermin im Juni 2017 haben sich Jugendamt und Verfahrensbeistand gegen die Beibehaltung des gemeinsamen Sorgerechts ausgesprochen. Eine Kindesanhörung unterblieb. Die alleinige elterliche Sorge wurde der Antragstellerin übertragen.
Der Antragsteller beantragt die Aufhebung dieses Beschlusses, die Antragstellerin beantragt mit den weiteren Beteiligten mit Ausnahme des Jugendamtes die Zurückweisung. Das OLG hebt den Beschluss zur Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf und verweist zur erneuten Behandlung und Entscheidung zurück an das Familiengericht.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Die nach §§ 58 ff FamFG zulässige Beschwerde hat in der Sache vorläufigen Erfolg. Die Entscheidung des FamG kann keinen Bestand haben, weil das erstinstanzliche Verfahren an einem schwerwiegenden Mangel leidet.
Gemäß § 159 Abs. 2 FamFG ist ein Kind, das sein 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, persönlich durch das Familiengericht anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder eine persönliche Anhörung aus sonstigen Gründen angezeigt ist.
Denn diese Informationen können für die Entscheidung, ob die elterliche Sorge oder eines Teils davon auf einen Elternteil zu übertragen ist, einen maßgeblichen Gesichtspunkt darstellen. Dem hat das Gericht dadurch Rechnung zu tragen, dass es sich einen unmittelbaren Eindruck von dem Kind verschafft und dieses selbst zu Wort kommen lässt, um ihm so Gelegenheit zu geben, dem Gericht seine persönlichen Beziehungen zu beiden Elternteilen darzustellen.
Diese gebotene Anhörung der betroffenen Kinder hat das FamG unterlassen. Zumindest wurde der wesentliche Teil einer durchgeführten Anhörung entgegen § 28 Abs. 4 FamFG nicht in einem schriftlichen Vermerk festgehalten, was bereits einen Verfahrensfehler begründet. Das Gericht hat keine schwerwiegenden Gründe i.S.v. § 159 Abs. 3 Satz 1 FamFG festgestellt, die gegen die Anhörung der Kinder sprechen.
Die Anhörung von D im Januar 2016 rechtfertigt das Unterbleiben der erneuten Anhörung nicht. Lediglich wenn das frühere Verfahren, in dem das Kind angehört wurde, einen vergleichbaren Verfahrensgegenstand aufwies, ist das Unterbleiben der Anhörung vertretbar. Das ist bei einem Umgangs- und Sorgerechtsverfahren jedoch nicht der Fall.
Darüber hinaus lag die Anhörung bereits annährend eineinhalb Jahre zurück und deren Dokumentation bestand lediglich aus zwei Sätzen. Für eine Sorgerechtsentscheidung kann diese knappe Ausführung nicht herangezogen werden. Die weitere Anhörung im August 2017 fand erst nach Verfahrensabschluss statt und konnte keine Berücksichtigung finden.
Die erforderliche Anhörung von E – im erstinstanzlichen Verfahren bereits fünf Jahre alt - hat scheinbar zu keiner Zeit stattgefunden. Jedoch sieht die Rechtsprechung vor, dass Kinder grundsätzlich ab einem Alter von drei Jahren anzuhören sind, um ihren tatsächlichen Willen zu erforschen.
In dem hier zugrunde liegenden Verfahren ist darüber zu befinden, ob auch die übrigen Teilbereiche der elterlichen Sorge auf die Antragstellerin zu übertragen sind. Konkrete Ausführungen des Gerichts, ob es sich von vornherein keinen Erkenntnisgewinn hieraus verspricht, fehlen.
Die also zu Unrecht unterbliebene Kindesanhörung führt zu einem schwerwiegenden Verfahrensfehler, aufgrund dessen der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache gem. § 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG an das Familiengericht zurückzuverweisen ist.
Folgerungen aus der Entscheidung
Das Gericht unterstreicht, dass die Anhörung betroffener Kinder bei einem Sorgerechtsverfahren grundsätzlich durchzuführen ist und nur unter bestimmten Voraussetzungen unterbleiben kann. Gemäß § 159 Abs. 2 FamFG muss ein Kind, das sein 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, persönlich durch das Familiengericht angehört werden, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn eine persönliche Anhörung aus sonstigen Gründen angezeigt ist.
Hier wird betont, dass auch Kinder im Alter von drei Jahren gehört werden müssen. Denn das Gericht muss sich selbst von dem Kind als Person, seinen Lebensumständen und auch von dessen persönlicher Meinung ein Bild machen. Nur dieser direkte Austausch ermöglicht dem Gericht, sich einen eigenen Eindruck von dem Kind zu machen. Ein Rückgriff auf bereits vorhandene Dokumentationen von vorherigen Anhörungen kann dies nicht ersetzen.
Praxishinweis: Auch Kinder, die gerade erst das Kindergartenalter erreicht haben, sollen im Rahmen von Sorgerechtsverfahren dringend angehört werden. Zuvor durchgeführte Anhörungen sind nicht verwertbar, auch eine nur minimalistische Dokumentation begründet im Zweifel eine erneute Anhörungspflicht.
Bereits im Kindergartenalter können sich Kinder i.d.R. so verständlich ausdrücken, dass sie auf gezielte Frage antworten. Sollte die Antwort nicht deutlich oder hinreichend verständlich sein, besteht gerade im Rahmen einer persönlichen Anhörung die Möglichkeit Verständnis- oder Vertiefungsfragen zu stellen.
Das Gericht kann auf diese Weise die Meinung des kleinen Kindes erforschen und sich selber ein konkretes Bild vom Kind und dessen Meinung machen. Unterbleibt eine solche dringend gebotene Befragung, stellt das zu Recht einen gravierenden Verfahrensfehler dar, der durch Aufhebung und Zurückverweisung behoben werden muss.
OLG Saarbrücken, Beschl. v. 05.01.2018 – 9 UF 54/17
Quelle: Ass. jur. Nicole Seier