Das Landgericht Berlin hat die Voraussetzungen für einen besonderen Schutz älterer Mieter vor einer Eigenbedarfskündigung geklärt. Demnach können Mieter vom Vermieter unter Berufung auf ihr hohes Lebensalter und ihre langjährige und tiefe Verwurzelung am Ort der Mietsache die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen. Das gilt auch ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen.
Darum geht es
Die Parteien des Rechtsstreits streiten über die Räumung und Herausgabe einer von der mittlerweile 89-jährigen Beklagten im Jahre 1997 von den Rechtsvorgängern der Klägerin angemieteten Wohnung.
Die Klägerin erklärte erstmals im Jahre 2015 und in der Folge wiederholt die Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs. Die Beklagte und ihr mittlerweile verstorbener Ehemann widersprachen den Kündigungen unter Verweis auf ihr hohes Alter, ihren beeinträchtigten Gesundheitszustand, ihre langjährige Verwurzelung am Ort der Mietsache und ihre für die Beschaffung von Ersatzwohnraum zu beschränkten finanziellen Mittel.
Das Amtsgericht Mitte hatte die von der Klägerin erhobene Räumungsklage abgewiesen (Urt. v. 26.10.2018 - 20 C 221/16).
Die dagegen erhobene Berufung der Klägerin hatte zunächst keinen Erfolg, da die Zivilkammer 67 des Landgerichts Berlin die Berufung bereits mit Urteil vom 12.03.2019 mit der Begründung zurückgewiesen hatte, der Beklagten stehe gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB allein aufgrund ihres hohen Lebensalters ein Anspruch auf eine zeitlich unbestimmte Fortsetzung des Mietverhältnisses zu.
Dieses Berufungsurteil des Landgerichts Berlin vom 12.03.019 hatte der BGH auf eine Revision der Klägerin mit Urteil vom 03.02.2021 teilweise aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen.
Nach Auffassung des BGH begründet das hohe Alter eines Mieters alleine und ohne weitere Feststellungen zu den sich hieraus ergebenden Folgen für den betroffenen Mieter grundsätzlich noch keine Härte.
Zudem hänge eine tiefe Verwurzelung des Mieters am Ort der Mietwohnung maßgeblich von der individuellen Lebensführung des jeweiligen Mieters ab (BGH, Urt. v. 03.02.2021 – VIII ZR 68/19).
Wesentliche Entscheidungsgründe
Das Landgericht Berlin die Berufung der Klägerin nunmehr erneut zurückgewiesen.
Das Gericht hat es dabei dahinstehen lassen, ob die von der Beklagten behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen tatsächlich derartig erheblich sind, wie vom Amtsgericht angenommen.
Denn nach der Entscheidung des Landgerichts Berlin können sich Mieter im Einzelfall auch ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen berechtigt auf eine Fortsetzung des Mietverhältnisses berufen.
Dies gelte jedenfalls dann, wenn sich die Mieter zum Zeitpunkt des Wohnungsverlustes bereits in einem hohen Lebensalter befänden und zudem aufgrund eines langjährigen Mietverhältnisses tief am Ort der Mietsache verwurzelt seien.
Diese Voraussetzungen hat die Kammer nach erneuter Tatsachenfeststellung in dem zugrundeliegenden Fall für gegeben erachtet.
Die Folgen des Wohnungsverlustes seien für die Beklagte so schwerwiegend, dass sie auf eine Verletzung ihrer durch Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Menschenwürde hinausliefen.
Die Kammer hat gleichzeitig befunden, dass die Interessen der klagenden Vermieterin dahinter zurückzustehen hätten.
Eine Interessenabwägung zu Gunsten des Vermieters käme bei kündigungsbedingten Verletzungen der Menschenwürde des Mieters allenfalls dann in Betracht, wenn der Vermieter besonders gewichtige persönliche oder wirtschaftliche Nachteile für den Fall des Fortbestandes des Mietverhältnisses geltend machen könne, die ein den Interessen des betagten und an seinem Wohnort tief verwurzelten Mieters zumindest gleichrangiges Erlangungsinteresse begründeten.
Ein entsprechend hohes Erlangungsinteresse könne die Klägerin aber in diesem Fall nicht geltend machen, da die von ihr beabsichtigte Eigennutzung der Wohnung lediglich auf bloßen Komfortzuwachs und die Vermeidung unerheblicher wirtschaftlicher Nachteile gerichtet sei.
Die Kammer hat die erneute Revision zum BGH nicht zugelassen. Gegen die Nichtzulassung einer Revision kann grundsätzlich Beschwerde beim BGH eingelegt werden.
Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision würde eine Beschwer von über 20.000 € erfordern. Ob dieser Wert vorliegend erreicht ist, wäre vom BGH selbst zu entscheiden.
Landgericht Berlin, Urt. v. 25.05.2021 - 67 S 345/18
Quelle: Landgericht Berlin, Pressemitteilung v. 27.05.2021