Den Begriff der „Online-Scheidung“ gibt es im anwaltlichen Marketing schon länger, allerdings ist damit bisher nur gemeint, dass Mandant und Anwalt auf persönlichen Kontakt im Vorfeld verzichten, und stattdessen über E-Mail oder Internetportale die Schriftstücke austauschen. Der Scheidungstermin selbst ist dabei eigentlich nie online: Familienrichter, beide Eheleute und mindestens ein Anwalt (auf Antragstellerseite) kommen auch bei der so genannten Online-Scheidung stets im Saal des Familiengerichtes zusammen.
Kann man nun – in Zeiten von Corona – ohne dies geschieden werden – oder muss das alles warten bis alle Pandemie-Beschränkungen aufgehoben sind? Erfahren Sie im folgenden Beitrag, was Sie als Anwalt für Ihre Mandanten in Scheidungsfällen aktuell tun können.
– von Martina Mainz-Kwasniok, Rechtsanwältin, Mediatorin, Fachanwältin für Familienrecht, Aachen
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Knackpunkt persönliche Anhörung
In Ehe- und Folgesachen sowie Familienstreitsachen gelten über § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG die Vorschriften der ZPO für das Verfahren vor dem LG entsprechend. Insoweit ist auch § 128 ZPO anzuwenden, wonach grundsätzlich mündlich zu verhandeln ist. Die allseitige Zustimmung zum schriftlichen Verfahren bietet die jetzt vielfach zu wählende Ausnahme.
Erschwerend kommt aber hier § 128 FamFG hinzu, der die persönliche Anhörung der Ehegatten zur Zerrüttungsfrage normiert.
Zu prüfen ist daher, wann nicht nur von dem Grundsatz der mündlichen Verhandlung, sondern auch von dem der persönlichen Anhörung Ausnahmen möglich sind. Denn die Frage nach der Zerrüttung einer Ehe ist etwas Höchstpersönliches, geradezu Intimes, die zu beantworten im Verfahren nicht dem Anwalt als Verfahrensbevollmächtigten obliegt, sondern den Ehegatten selbst, weshalb in § 128 FamFG das persönliche Erscheinen der Ehegatten normiert ist.
Das OLG Hamm hatte im Beschluss vom 07.02.2012 - II-11 UF 154/11 – Gelegenheit, klarzustellen, dass die zu Unrecht unterbliebene Anhörung gem. § 128 FamFG einen schweren Verfahrensmangel i.S.v. § 117 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 538 II ZPO darstelle.
Zweck der Bestimmung des § 128 FamFG ist es, durch die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Beteiligten zum Termin und deren Anhörung bzw. Vernehmung als Beteiligter eine bessere Aufklärung von Amts wegen zu erreichen als im normalen Zivilprozess; sie rechtfertigt sich somit aus dem Untersuchungsgrundsatz des § 127 FamFG.
Rechtsgeschichtliche Einordnung der persönlichen Anhörung in Scheidungsfällen
Rechtsgeschichtlich: § 619 a.F. ZPO stellte bis 2001 die Anordnung des persönlichen Erscheinens ins freie Ermessen des Richters, § 613 a.F. ZPO änderte dies in die Sollvorschrift, wie sie sich seit 2009 in § 128 FamFG wiederfindet.
In der Begründung des Regierungsentwurfs hieß es hierzu, damit werde der Bedeutung der Anhörung für eine möglichst genaue und vollständige Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie dem besonderen Charakter des Verfahrens vor dem Familiengericht Rechnung getragen.
Die danach in aller Regel stattfindende persönliche Anhörung der Ehegatten sei zugleich der geeignete Zeitpunkt, um in Ehescheidungssachen über die schwerwiegenden Folgen der Scheidung sowie die Möglichkeit eines Verbunds der Scheidungssache mit Folgesachen hinzuweisen (BT-Drucksache 7/650, S. 197).
§ 128 Abs. 1 FamFG als Sollvorschrift
Dem Wortlaut nach ist § 128 Abs. 1 FamFG also eine Sollvorschrift mit zu überprüfender Ermessensausübung des Gerichts.
Die Vorschrift des § 128 Abs. 3 FamFG zeigt, dass sonst übliche Komplikationen und Lästigkeiten wie die Verhinderung am Erscheinen oder große Entfernung vom Sitz des Gerichts jedenfalls keinen ausreichenden Grund darstellen, von dem Anhörungserfordernis abzusehen.
Ebensowenig kann die Anhörung bereits wegen Säumnis unterbleiben, denn für diesen Fall stellt § 128 Abs. 4 die Zwangsmittel der §§ 380, 381 ZPO zur Verfügung. Bei der persönlichen Anhörung des anwaltlich nicht vertretenen Antragsgegners muss das Gericht sich außerdem nach § 138 Abs. 1 S. 2 davon überzeugen, ob die Beiordnung eines Rechtsanwalts zum Schutz des Beteiligten unabweisbar erscheint.
Einfachster Fall erscheint allerdings der des allseitigen Einverständnisses, wobei die Zustimmung des § 128 Abs. 2 ZPO lediglich den Aspekte der entbehrlichen mündlichen Verhandlung umfasst, nicht zugleich die Entbehrlichkeit der persönlichen Anhörung nach § 128 FamFG.
Rechtsprechung zu unterbliebenen Anhörungen
Allerdings gibt es aus der Rechtsprechung zu unterbliebenen Anhörungen gegen den Willen des Antragsgegners die Möglichkeit der erst-recht-Schlusses auf das allseitige Einverständnis.
Jüngste veröffentlichte Entscheidung dazu ist OLG Hamm, Beschl. v. 7.1.2019 – 5 UF 137/18:
„Bei im Übrigen ausreichend geklärtem Sachverhalt ist eine persönliche Anhörung des Scheidungsgegners nach § 128 FamFG ausnahmsweise entbehrlich, wenn dieser erkennbar an der ordnungsgemäßen Durchführung des Verfahrens nicht interessiert ist, das Verfahren verzögern will und außerstande ist, die Begründung des scheidungswilligen Ehegatten über die Zerrüttung der Ehe und die endgültige Abwendung von dem anderen Ehegatten überzeugend in Frage zu stellen.“
Zu altem Recht entschied OLG Koblenz, Urteil vom 25. 8. 2000 - 11 UF 672/99:
„Eine Anhörung des Ehegatten nach § 613 ZPO kann, wenn der Sachverhalt ausreichend geklärt ist, ausnahmsweise unterbleiben, wenn die Partei in mehreren Terminen unentschuldigt fernbleibt und sich hieraus - gegebenenfalls im Verein mit anderen Tatsachen - der Schluss ziehen lässt, sie wolle den Fortgang des Verfahrens sabotieren.“
Gleiches gilt nach OLG Hamburg v. 15. 1. 1997 - 12 WF 6/97 – wenn der Antragsgegner deutlich macht, dass er am Verfahren nicht mitwirken will:
„Die nach § 613 ZPO persönlich geladene Partei ist nicht verpflichtet, Aussagen zu machen oder Erklärungen abzugeben. Deshalb darf eine Anordnung, persönlich zu erscheinen, nicht ergehen und ihre Durchsetzung nicht erzwungen werden, wenn die Partei hat wissen lassen, dass sie zur Aussage nicht bereit ist.“
Bedeutet: Wenn in solchen Fällen sogar gegen den Willen des Antragsgegners ohne seine persönliche Anhörung geschieden wurde, weil sein Verhalten interpretiert wurde, muss das erst recht mit dem Willen des Antragsgegners gehen.
Jedoch war sämtlichen bisherigen Konstellationen zu eigen, dass jedenfalls die Antragstellerseite persönlich angehört wurde und damit den Zerrüttungstatbestand prüfbar machte.
Sonderfall Corona-Epidemie
Nun wird in Corona-Zeiten auch der Antragsteller geltend machen, dass nach § 34 Abs. 2 FamFG die persönliche Anhörung eines Beteiligten unterbleiben kann, wenn hiervon erhebliche Nachteile für seine Gesundheit zu besorgen sind.
Allerdings greift § 34 FamFG nicht für Ehesachen und Familienstreitsachen – § 128 FamFG geht als Spezialvorschift vor.
Der typische Anwendungsbereich sind psychisch Kranke in Betreuungsangelegenheiten. Hinzu kommt, dass die Gesundheitsgefährdung nicht dauerhaft ist und auch im Anwendungsbereich des § 34 FamFG Anhörungen nachzuholen sind, wenn die Gesundheitsgefährdung nicht mehr besteht.
Diese Anhörung des Antragstellers ist also nur dann entbehrlich, wenn sie überflüssig erscheint, weil die Beteiligten sich über die Bedeutung ihres Vorgehens bewusst sind, der Sachverhalt klar und unstreitig und eine Aussöhnung aussichtslos ist; so etwa in Scheidungssachen, in denen bereits eine dreijährige Trennungsfrist (§ 1566 Abs. 2 BGB) verstrichen und keine streitige Folgesache anhängig ist, so OLG Hamm, Beschluss vom 07.02.2012 - II-11 UF 154/11 m.w.N.
Nicht fehlen soll der Hinweis auf § 32 Abs. 3 FamFG: „In geeigneten Fällen soll das Gericht die Sache mit den Beteiligten im Wege der Bild- und Tonübertragung in entsprechender Anwendung des § 128a der Zivilprozessordnung erörtern.“
Praxistipp: Scheidung in Corona-Zeiten
Pragmatischer Vorschlag: An die Stelle der persönlichen Anhörung könnte eine schriftliche Anhörung der Ehegatten treten. Der Anwalt weiß ja, was üblicherweise gefragt wird:
Wann datiert die Trennung, wie vollzog sie sich (wer zog aus?), gab es seither Versöhnungsversuche, besteht Bereitschaft, die eheliche Lebensgemeinschaft wieder aufzunehmen?
Der Mandant könnte diese Erklärung persönlich unterschreiben und wir könnten auf diesem Weg zumindest die unstreitigen Ehesachen voranbringen, damit nach der Ansteckungslawine nicht eine Aktenlawine über uns hereinbricht.
In allen Fällen, in denen eine Seite nicht zeitnah geschieden werden will – und sei dies nur wirtschaftlich motiviert, weil Trennungsunterhalt läuft – werden wir warten müssen, bis wir einander wieder in den Gerichtssälen begegnen.