Mit Beschluss vom 18. Juli 2024 hat das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung des Amtsgerichts Düsseldorf teilweise aufgehoben und zurückverwiesen. In der Verfassungsbeschwerde hatte die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Rechts auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG geltend gemacht.
Der Beschluss beleuchtet die hohe Bedeutung dieses Grundrechts im zivilprozessualen Kontext. Im Fall ging es um die Überprüfung von Nebenforderungen wie Inkassokosten.
Für Anwälte und Anwältinnen bietet die Entscheidung wertvolle Argumentationsansätze zur Durchsetzung von Gehörsansprüchen.
Hintergrund und Sachverhalt
Der Ausgangsfall betraf eine Kundin, die einen Fußpflege-Termin aufgrund eines gefährlichen Unwetters kurzfristig absagte. Die Betreiberin der Fußpflegepraxis machte daraufhin gemäß ihrer AGB ein Ausfallhonorar geltend. Nachdem weder Rechnung noch Mahnung zur Zahlung führten, wurde ein Inkassobüro beauftragt, die Forderung einzutreiben.
Die Beschwerdeführerin bestritt die Forderung jedoch von Anfang an und berief sich auf höhere Gewalt. Dennoch wurde sie vom Amtsgericht Düsseldorf mit Urteil vom 20. April 2023 zur Zahlung des Ausfallhonorars sowie der Inkassokosten verurteilt.
Auf eine Berufung verzichtete das Gericht, da es die Zulassung nicht für erforderlich hielt. Die Beschwerdeführerin erhob daraufhin eine Anhörungsrüge, die jedoch abgewiesen wurde.
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Das BVerfG hob das Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf teilweise auf. Es stellte fest, dass die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf rechtliches Gehör verletzt worden war.
In den Entscheidungsgründen führt das BVerfG aus, dass das Amtsgericht zentrale Argumente der Beschwerdeführerin schlicht übergangen hatte.
Insbesondere der mehrfach und ausdrücklich vorgebrachte Einwand, dass es sich beim Ausfallhonorar um eine bestrittene Forderung handelte und die Gläubigerin damit eine Schadensminderungspflicht getroffen habe, wurde nicht hinreichend gewürdigt. Laut Beschwerdeführerin sei die Schadensminderungspflicht durch die Beauftragung des Inkassounternehmens verletzt worden.
Nach Auffassung des BVerfG hätte das Amtsgericht diese Argumente der Beschwerdeführerin zumindest in seine Erwägungen einbeziehen müssen.
Es wies darauf hin, dass im Fall eines erkennbar zahlungsunwilligen Schuldners anerkanntermaßen eine Schadensminderungspflicht besteht, aufgrund derer Inkassokosten nicht als Schadensersatz erstattungsfähig sind.
Die pauschale Bezugnahme des Amtsgerichts auf Verzugsregelungen nach §§ 280 Abs. 1, 286, 288 Abs. 2 BGB war nicht ausreichend, um die Zulässigkeit der Inkassokosten zu rechtfertigen.
Zudem stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass die Gehörsverletzung entscheidungserheblich war. Es sei nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, wenn es den Vortrag der Beschwerdeführerin zur Kenntnis genommen und gewürdigt hätte.
Rechtsfolgen und Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist ein eindringlicher Appell an die Gerichte, die Anforderungen des Art. 103 Abs. 1 GG ernst zu nehmen.
Die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die Nichtberücksichtigung eines entscheidungserheblichen Vortrags ist eine schwerwiegende Verfahrensfehlerquelle, die zur Aufhebung von Urteilen führen kann.
Für Sie als Anwalt/ Anwältin ergibt sich aus dem Beschluss eine wichtige Handlungsempfehlung für die Vertretung von Mandanten in ähnlichen Fällen.
Der Fall zeigt, dass bei der Geltendmachung von Nebenforderungen, insbesondere von Inkassokosten, die Schadensminderungspflicht der Gläubigerseite stets geprüft werden sollte.
Die Entscheidung verdeutlicht auch die Bedeutung einer sorgfältigen Dokumentation und Präsentation von Einwendungen gegen bestrittene Forderungen, da diese entscheidungserheblich sein könnten. Sollten die Gerichte die Einwände ignorieren, bietet der Beschluss eine solide Grundlage, um eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend zu machen und weitere Rechtsmittel in Betracht zu ziehen.
Fazit
Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung betont, dass das Recht auf rechtliches Gehör ein zentrales Prinzip des Rechtsstaates ist, das auch im Rahmen zivilrechtlicher Auseinandersetzungen nicht missachtet werden darf.
Für die anwaltliche Praxis ist dies ein wichtiger Hinweis darauf, dass eine gründliche Auseinandersetzung mit den Einwendungen der Parteien erforderlich ist.
Wird ein entscheidungserheblicher Vortrag nicht gewürdigt (z.B. in der Urteilsbegründung), können Anwälte die Verletzung des Gehörsanspruchs effektiv rügen und im Zweifel Verfassungsbeschwerde einlegen.
Die vorliegende Entscheidung ist somit nicht nur ein Sieg für die Beschwerdeführerin, sondern auch ein starkes Signal für den Schutz verfassungsmäßiger Rechte im zivilrechtlichen Prozess.
BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2024 (Az. 1 BvR 1314/23) - Volltext (PDF) hier aufrufen.
Online-Redaktion, Deubner Recht & Praxis