Neue Rechte für Plattformbeschäftigte - Bessere Arbeitsbedingungen verabschiedet

Am 22.03.2024 haben sich die Arbeits- und Sozialminister der Europäischen Union (EU) auf einen Richtlinienvorschlag verständigt, mit der sich die EU nicht weniger als eine europaweite Harmonisierung der Plattformwirtschaft mit einheitlichen Standards für die Plattformbeschäftigten zum Ziel gesetzt hat (Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformwirtschaft).1

Mit dem Beschluss wurde ein Schlusspunkt über eine mehr als zwei Jahre andauernde Auseinandersetzung über den Richtlinientext gesetzt, der zuletzt im Rahmen einer Abstimmung der Mitgliedsstaaten am 16.02.2024 noch die notwendige Mehrheit verfehlt hatte.

Am 24.04.2024 hat auch das Europäische Parlament diese Richtlinie2 angenommen und damit den Weg für deren förmliche Verabschiedung freigemacht.

Die Richtlinie, die nach Verabschiedung durch den Rat und Veröffentlichung im EU-Amtsblatt in den Mitgliedstaaten innerhalb von zwei Jahren umzusetzen ist, setzt neue Maßstäbe für die Plattformbeschäftigten in der EU.

Was sind deren Folgen für die Plattformwirtschaft im Allgemeinen und insbesondere für die Plattformbeschäftigten und die Plattformbetreiber?

Wie dürfte die Umsetzung der Richtlinie im deutschen Arbeits- und Sozialrecht aussehen und welche Impulse gehen von ihr auf den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) in der Arbeitswelt schlechthin aus? Mehr dazu im folgenden Aufsatz unseres Autors und Arbeitsrechtsexperten Prof. Dr. Joachim Weyand.

1. Plattformarbeit in der EU

Der sich beschleunigende Wandel der Arbeitswelt findet in den wirtschaftlich hoch entwickelten Staaten Ausdruck vor allem in der Plattformökonomie.

In deren Mittelpunkt stehen digitale Plattformen, auf denen entweder Dienstleistungen „vor Ort“, wie z.B. Fahrdienste, Waren- lieferungen, Reinigungs- oder Pflegedienste, vermittelt werden (sog. Gigwork) oder Tätigkeiten ausschließlich online, wie etwa Datenkodierung, Übersetzungs- oder Designleistung, angeboten werden (sog. Crowdwork).

Die Betreiber der Plattformwirtschaft, allen voran die Vermieterplattform Airbnb oder der Fahrdienstleister Uber, die vor mehr als einem Jahrzehnt begannen, sich in den europäischen Metropolen wie Paris oder London zu etablieren, sind heute flächendeckend anzutreffen und zu einer Alltagserscheinung geworden.

Ihnen zur Seite getreten ist ein breites Spektrum von Unternehmen, die die unterschiedlichsten Organisationsformen und vermittelten Dienstleistungen repräsentieren.

Die bekanntesten Namen lauten Lieferando, Clickworker, Freelancer, MyHammer, Testbirds, Helpling, Crowdguru, Streetspotr. Sie werden inzwischen komplettiert durch zahlreiche E-Learning-Plattformen, auf denen Sprachen oder auch berufliche Qualifikationen vermittelt werden.

Insgesamt zählt die EU-Kommission mehr als 500 Plattformen in den Mitgliedstaaten, für die bereits 2022 mehr als 28 Millionen Menschen EU-weit tätig waren; ihre Zahl soll bis im Jahr 2025 auf 43 Millionen ansteigen. Und ein weiterer rasanter Anstieg der Beschäftigtenzahl in den kommenden Jahren ist mehr als wahrscheinlich.

Charakteristisch für Beschäftigungen in der Plattformökonomie ist, dass sich die verrichteten Tätigkeiten erheblich hinsichtlich des erforderlichen Qualitätsniveaus sowie der Art und Weise, wie die Tätigkeit von den Plattformen organisiert und kontrolliert wird, unterscheiden.

So muss der über eine Plattform rekrutierte Fahrradkurier („Rider“), der für einen Essenslieferanten zum Einsatz kommt, über keine Berufsausbildung verfügen. Andererseits erfordert die im Netz erbrachte Leistung eines Übersetzers eine langjährige Ausbildung.

Die Tätigkeit des Fahrradkuriers wird durch eine App zugeteilt, von der er lokalisiert und in der Leistungserbringung überwacht wird. Die Online-Übersetzung kann dagegen nach gänzlich freier Zeiteinteilung erbracht werden.

Zudem lassen sich Plattformtätigkeiten häufig nicht mehr dem herkömmlichen und vertrauten Konzept eines kohärenten Arbeitgebers zuordnen, vielmehr sind sie über verschiedene Gerichtsbarkeiten hinweg atomisiert.

So findet Plattformarbeit vor allem eine Anknüpfung im Arbeits- und Sozialrecht, das gilt insbesondere für die bereits erwähnte Tätigkeit des Fahrradkuriers.

Sie wirft aber auch Fragen im Bereich des reinen Zivilrechts, des Wettbewerbsrechts und des öffentlichen Wirtschaftsrechts auf. Mit Letzterem korrespondiert, dass sich ein erheblicher Teil derjenigen Personen, die auf Onlineplattformen tätig sind, nicht als Arbeitnehmer mit (Schutz)rechten verstehen.

Stattdessen betrachten sie sich als wirtschaftlich und persönlich selbständige Freelancer und legen Wert darauf, als solche auch wahrgenommen zu werden.

2. Konfliktfelder

Sowohl das Arbeitsrecht als auch das Sozialversicherungsrecht aller EU-Mitgliedstaaten hinken dieser Entwicklung hinterher. In der EU wurde zwar bereits im Jahr 2019 eine Richtlinie verabschiedet, die Mindeststandards unter anderem für Plattformarbeiter vorsieht.

Allerdings gilt die Richtlinie nur für reguläre Arbeitnehmer. Die zahlreichen (Solo-)Selbständigen, die insoweit betroffen sind, werden dabei ausgeklammert.

2.2 Defizitäre Regelungen im Arbeits- und Sozialrecht der EU-Mitgliedstaaten

Die rechtlich zentrale Frage der Einordung der Plattformbeschäftigten als Arbeitnehmer oder Selbständige bleibt dabei unbeantwortet.

In allen europäischen Rechtsordnungen hängt – wie in Deutschland – die Einordnung von der konkreten Ausgestaltung und Durchführung der Plattformarbeit und der Gewichtung verschiedener Faktoren im Einzelfall ab.

In Konsequenz der gebotenen, aber nicht immer einfachen Einzelfallbetrachtung sind (Arbeits-)Gerichte in ganz Europa bereits seit vielen Jahren mit dieser Frage beschäftigt.

Bereits 2021 zählte die EU-Kommission mehr als 120 gerichtliche und arbeitsbehördliche Entscheidungen zum Beschäftigtenstatus von Plattformbeschäftigten in der EU. Prominentes Beispiel sind etwa die in verschiedenen Ländern geführten Gerichtsverfahren über die Einordnung der Beschäftigungs- verhältnisse von Uber-Fahrern.

Durchgängig sind die nur als Selbständige kategorisierten Plattformbeschäftigten in den Mitgliedstaaten von einem gesetzlichen Anspruch auf Rente, Mindestlohn, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder andere arbeitsrechtliche Schutz- maßnahmen wie Sozial- oder Krankenversicherung ausgeschlossen.

2.2 Plattformtätigkeit im deutschem Arbeits- und Sozialrecht

Entsprechend verhält es sich im deutschen Arbeitsrecht. Dass insoweit gesetzlicher Handlungsbedarf besteht, wird seitens der Gewerkschaften seit langem betont und ist unter den die Bundesregierung tragenden Parteien weitgehend Konsens. Umstritten ist die konkrete Ausgestaltung der Schutzbestimmungen.

Das von der SPD geführte Bundesministerium für Arbeit und Soziales veröffentlichte im November 2020 ein Eckpunktepapier mit Regelungsansätzen zur Plattformökonomie.3

Darin wird zunächst ein asymmetrisches Machtverhältnis zwischen den Betreibern der Plattformen und den Plattformbeschäftigten diagnostiziert.

Deshalb sollen sich Plattformbeschäftigte künftig besser gewerkschaftlich organisieren können. Auch Mindestkündigungsfristen werden angedacht. Außerdem sollen Plattformbeschäftigte ihren Status leichter vor Gericht überprüfen lassen können.

Und nicht zuletzt sollen die Plattformbetreiber zu Transparenz verpflichtet werden, um den Persönlichkeitsschutz der Beschäftigten zu verbessern.

Aufgegriffen wurden Plattformökonomie und Plattformbeschäftigung dann auch im Koalitionsvertrag der Ampelregierung. Dieser beließ es aber bei einem schlichten Programmsatz, wonach digitale Plattformen eine Bereicherung für die Arbeitswelt darstellen und daher „gute und faire Arbeitsbedingungen“ wichtig seien.

In diesem Sinne solle das bestehende Recht überprüft und die Datenschutzgrundlagen verbessert werden. Zugleich soll die Initiative der EU-Kommission „konstruktiv begleitet“ werden.

Einen Meilenstein im Recht der Plattformbeschäftigung setzte das „Crowdworker“-Urteil des BAG vom Dezember 2020.4

Dem Urteil zugrunde lag der Konflikt zwischen einem Crowdworker und einem Plattformbetreiber. Der sogenannte Crowdworker hatte innerhalb von elf Monaten knapp dreitausend Aufträge für eine Plattform ausgeführt, zumeist Kontrollaufgaben bezüglich der Warenpräsentation im Einzelhandel.

Dann kam es jedoch zu Unstimmigkeiten mit dem Plattformbetreiber, infolge derer dieser ankündigte, den Account zu sperren und keine weiteren Aufträge mehr anzubieten.

Dies wollte der Nutzer nicht akzeptieren und forderte – neben seiner Weiterbeschäftigung – insbesondere die Zahlung ausstehender Vergütung. Hierbei machte er geltend, er sei als Arbeitnehmer beschäftigt und könne daher nicht ohne weiteres gekündigt werden.

Das BAG stellte in seiner Entscheidung klar, dass ein Plattformbeschäftigter entgegen ausdrücklich getroffener vertraglicher Vereinbarungen Arbeitnehmer sein kann, wenn er im Rahmen der Durchführung von Kleinstaufträgen („Mikrojobs“) zur persönlichen Leistungserbringung verpflichtet ist, die geschuldeten Tätigkeiten einfach gelagert und inhaltlich vorgegeben sind sowie die Auftragsvergabe und die konkrete Nutzung der Onlineplattform im Sinne eines Fremdbestimmens durch den „Crowdsourcer“ gelenkt wird.

Ergänzt wurde diese arbeitsrechtliche Zuordnung der Plattformbeschäftigung durch ein Urteil desselben Gerichts vom November 2021, das die Rechte von Fahrradlieferanten (sog. „Rider“) zum Gegenstand hatte, die Speisen und Getränke ausliefern und ihre Aufträge über eine Smartphone-App erhalten.5

Das BAG hebt in diesem Urteil hervor, dass – die als Arbeitnehmer zu verstehenden – „Rider“ einen Rechtsanspruch darauf haben, dass der Arbeitgeber ihnen die für die Ausübung ihrer Tätigkeit essentiellen Arbeitsmittel zur Verfügung stellt.

Dazu gehören ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein geeignetes internetfähiges Mobiltelefon. Vertragliche Abweichungen sind nur wirksam, wenn dem Arbeitnehmer für die Nutzung des eigenen Fahrrads und Mobiltelefons eine angemessene finanzielle Kompensationsleistung zusagt wird.

Die in diesen Urteilen formulierten Kriterien zum Beschäftigtenstatus und den Mindestbedingungen einer „fairen“ Beschäftigung setzen Maßstabe. Sie dürften aber auch nur der Einstieg zu einer langen Kette von Entscheidungen zum Phänomen der Plattform- beschäftigung unter arbeitsrechtlichen Aspekten in den kommenden Jahren sein.

Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Plattformbeschäftigung und die Wiedergabe der Positionen der Arbeitsmarktakteure enthält ein Videoportal der Deutschen Rentenversicherung mit dem Titel „Soziale Sicherung in der Gig-Ökonomie“.6

3. Wesentliche Inhalte der Richtlinie

Auf die skizzierten Defizite im Arbeits- und Sozialrecht nimmt die Richtlinie Bezug. Ihr Ziel ist es in erster Linie, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformbeschäftigung sowie einen erweiterten Schutz personenbezogener Daten von den Personen zu schaffen, die Plattformarbeit leisten.

Sie setzt dabei drei Schwerpunkte:

  • Die Schaffung einer widerlegbaren Vermutung für den Arbeitnehmerstatus,
  • die Gewährleistung eines Mindestschutzes für Plattformbeschäftigte und
  • die Sicherstellung von Transparenz und Fairness, wenn Plattformbeschäftigte durch Algorithmen verwaltet werden.

3.1 Beschäftigtenstatus der Plattformbeschäftigten

Im Mittelpunkt der Richtlinie steht die gesetzliche Vermutung, die dazu beitragen soll, die Bestimmung des korrekten Beschäftigungsstatus von Personen, die über digitale Plattformen arbeiten, zu erleichtern.

Danach soll das Vertragsverhältnis zwischen einer digitalen Arbeitsplattform und einer Person, die Plattformarbeit über diese Plattform leistet, rechtlich als Arbeitsverhältnis angesehen werden, wenn gemäß den nationalen Rechtsvorschriften (...) Tatsachen, die auf Kontrolle und Steuerung hindeuten, festgestellt werden.

Zu diesem Zweck sind die Mitgliedstaaten angehalten, im Rahmen nationaler Regelungen die Kriterien für die widerlegbare gesetzliche Vermutung einer abhängigen Beschäftigung festzulegen.

Bei Vorliegen dieser Kriterien muss die digitale Arbeitsplattform zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung nachweisen, dass das betreffende Vertragsverhältnis kein Arbeitsverhältnis im Sinne der nationalen Rechtsvorschriften darstellt.

An der Regelung ist bemerkenswert, dass sie erheblich vom ursprünglichen Vorschlag der Kommission zur Ausgestaltung der Vermutungsregelung abweicht, der ein erheblich höheres Maß an Harmonisierung zur Folge gehabt hätte.

So bestand der ursprüngliche Vorschlag der EU- Kommission darin, dass die Vermutungswirkung bei Vorliegen von zwei von fünf im Richtlinienentwurf aufgestellten Kriterien eintritt.7

Der Rat erhöhte diese Regelung auf drei von sieben aufgestellten Kriterien.8 Das Parlament wiederum lehnte eine Orientierung an aufgestellten Kriterien gänzlich ab und befürwortete stattdessen, sich auf die tatsächlichen Arbeitsbedingungen zu konzentrieren.

Mangels einer Einigung auf eine Harmonisierung der Kriterien wurde auf die Aufnahme konkreter Kriterien letztlich verzichtet.9

Diese den Mitgliedstaaten eingeräumte Flexibilität bei der Ausgestaltung der Beschäftigungsvermutung birgt die Gefahr, dass es den zu entwickelnden Kriterien an Klarheit fehlt und damit der Nachweis einer abhängigen Beschäftigung schwerer zu erbringen ist.

Sie wird zudem dazu führen, dass in verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche Standards gelten, so dass die ursprünglich intendierte Harmonisierung eines einheitlichen Beschäftigtenstatus in der EU nicht zu erreichen ist.

3.2 Schaffung von Mindestrechten

In der Richtlinie wird hervorgehoben, dass mit der Klärung des Arbeitnehmerstatus Mindestrechte für Plattformbeschäftigte gewährleistet werden, darunter Arbeitszeitgrenzen und Anspruch auf bezahlten Urlaub, die Teilhabe an gesetzlichen Mindestlöhnen sowie Gesundheits- und Arbeitsschutz, gleiches Entgelt und Tarifrecht.

Plattformbeschäftigten wird zudem ein Anspruch auf transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen sowie auf Lohntransparenz gewährt, die ihre Grundlage in weiteren, zum Teil künftig vorgesehenen Richtlinien haben werden. Der Status eines Plattformbeschäftigten wird damit das „Tor“ zu anderen von der EU abgeleiteten Rechten sein.

3.3 Algorithmisches Management

Ein weiteres wichtiges Kapitel der Richtlinie ist dem algorithmischen Management am Arbeitsplatz gewidmet. Viele Plattformbeschäftigte, wie die Rider von Essenslieferanten oder Uber-Fahrer, erhalten ihre Aufträge per App, sie werden zudem per App lokalisiert, kontrolliert und ihre Leistung überwacht.

Algorithmen haben damit die direkte Führung durch einen Vorgesetzten ersetzt. Die Richtlinie soll deshalb mehr Transparenz hinsichtlich der Algorithmen, die der Beauftragung zugrunde liegen, schaffen.

Insbesondere soll sichergestellt sein, dass wichtige Entscheidungen der Plattform, die sich direkt auf die Plattformbeschäftigten auswirken, der menschlichen Kontrolle unterliegen.

Wichtige Entscheidungen, wie beispielsweise in Bezug auf Vergütung, Kündigung oder Sperrung von Konten, müssen deshalb immer von einem Menschen getroffen werden.

Des Weiteren sieht die Richtlinie ein vollständiges Verbot der Verarbeitung bestimmter Datensätze vor, beispielweise zum psychischen Zustand oder der Religionszugehörigkeit.

Zudem ist die Erfassung privater Gespräche oder Informationen außerhalb der beruflichen Tätigkeit der Person gänzlich untersagt. Schließlich erhalten Plattformbeschäftigte die Möglichkeit, die Hilfe eines Datenexperten in Anspruch zu nehmen, um Zugang zu ihren Daten zu erhalten, wobei die Kosten von der Plattform getragen werden müssen.

4. Wie dürfte die Umsetzung der Richtlinie im deutschen Arbeits- und Sozialrecht aussehen?

In Deutschland ist mit einer Umsetzung der Richtlinie bis zum Ende dieser – im September 2025 endenden – Legislaturperiode nicht zu rechnen.

Die Konflikte in der Ampelkoalition zu diesem Problemkomplex lassen keinen Konsens in der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien erwarten.

Vielmehr ist davon auszugehen, dass eine Umsetzung erst mit Ablauf der zweijährigen Umsetzungsfrist und damit erst im Frühjahr 2026 und dann durch die die neue Bundesregierung tragenden Parteien erfolgen wird.

Inhaltlich dürfte insbesondere die Ausgestaltung der Vermutungsregelungen für die Qualifikation der Beschäftigungsverhältnisse von Plattformarbeitern im Mittelpunkt stehen.

Da die Ausgestaltung der Vermutungsregelungen sich nach dem jeweiligen nationalen Recht richtet und damit in die Bestimmungsmacht der einzelnen Mitgliedstaaten gestellt ist, dürften in Deutschland die vom BAG in der „Crowdworker“-Entscheidung aufgestellten Kriterien die entscheidende Größe in der Umsetzung bilden.

Eine europaweite Harmonisierung der Plattformbeschäftigung wird es dabei nicht geben. Dazu hätte es wenigstens der Aufnahme einiger Kriterien für die Bestimmung der „Kontrolle“ durch die Plattformbetreiber in die Richtlinie bedurft.

Offen ist noch, welche Verfahrensvorschriften bei der Ausgestaltung der Statusprüfung zur Anwendung kommen werden; die Richtlinie macht hierzu keinerlei Vorgaben.

Doch ist auch insoweit eine Beibehaltung des Statusverfahrens, das sich bei der Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft entwickelt hat, wahrscheinlich.

Plattformbeschäftigte werden damit erst nach einem langwierigen – mitunter sich über drei Instanzen hinziehenden – Verfahren verbindliche Auskunft über ihren Arbeitnehmerstatus erhalten. Angesichts der überwiegend nur für wenige Jahre, zuweilen nur wenige Monate eingegangenen Beschäftigung werden viele Betroffene diesen Verfahrensweg erst gar nicht beschreiten.

Ein weiterer Schwerpunkt in der in den kommenden beiden Jahren zu erwartenden Auseinandersetzung bei der Umsetzung werden die Regelungen im Hinblick auf algorithmisches Management am Arbeitsplatz sein. Insoweit macht die Richtlinie relativ konkrete Vorgaben zum Datenschutz der Beschäftigten.

Über deren Ausgestaltung im deutschen Datenschutzrecht fehlt es bislang aber noch an jedem Konsens von Arbeitgebern und Gewerkschaften einerseits und der politischen Akteure andererseits.

Zudem wird sich angesichts der Tatsache, dass das algorithmische Management mittlerweile – über die Plattformwirtschaft hinaus – in vielen Arbeitsverhältnissen Einzug gehalten hat, die Frage stellen, ob es nicht an der Zeit ist , arbeits- und datenschutzrechtliche Vorschriften jenseits der Plattformwirtschaft, also für alle Beschäftigten zu schaffen.

Prof. Dr. Joachim Weyand

 


1 Urspünglicher Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit, Dok COM(2021) 762 v. 09.12.2021, abrufbar unter eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/

2 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit, COM(2021) 762 (2021/0414(COD) i.d.F. v. 08.03.2024, abrufbar unter data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-7212-2024-ADD-1/de/pdf.

3 Eckpunkte des BMAS, Faire Arbeit in der Plattformökonomie v. 27.11.2020, abrufbar unter www.denkfabrik-bmas.de/fileadmin/Downloads/Eckpunkte_des_BMAS_Faire_Arbeit_in_der_Plattformoekonomie.pdf.

4 BAG, Urt.v. 01.12.2020 – 9 AZR 102/20, NZA 2021, 552 („Crowdworker“-Urteil).

5 BAG, Urt. v. 10.11.2021 – 5 AZR 334/21, NZA 2022, 401.

6 Das Portal lässt sich unter dem Link www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Ueber-uns-und-Presse/Mediathek/Videos/Videos_Gig-Oekonomie/videos_gig-oekonomie_node.html;jsessionid=78D0DEAA9A9CD007DE801F62144BF615.delivery2-2-replication abrufen.

7 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit, Dok COM(2021) 762 v. 09.12.2021, S. 19, 40.

8 Ratsvorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit, Dok 10107_2023 v. 07.06.2023, S. 34, abrufbar unter eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/.

9 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit, COM(2021) 762 (2021/0414(COD) i.d.F. v. 08.03.2024, S. 18,43.

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