Das OLG Karlsruhe hat erstmals die neue Rechtsprechung des BGH zum sog. Thermofenster angewendet und eine Herstellerin von Diesel-Pkw zu Schadensersatz verurteilt. Der Pkw-Herstellerin sei es nicht gelungen, die bestehende Verschuldensvermutung für ein fahrlässiges Verhalten zu widerlegen. Den Einwand eines unvermeidbaren Verbotsirrtums hielt das Gericht für nicht durchschlagend.
Darum geht es
Das OLG Karlsruhe hatte in mehreren Fällen über die Haftung einer Fahrzeugherstellerin für den Einbau des sog. Thermofensters zur Steuerung der Abgasreinigung von Dieselfahrzeugen zu entscheiden. Bei sämtlichen Fahrzeugen handelt es sich um solche mit 3.0-Liter-Dieselmotoren der Schadstoffklasse EU 5, die mit einem Thermofenster ausgestattet sind.
Bei diesem „Fenster“ handelt es sich um einen festgelegten Temperaturbereich, innerhalb dessen die Rückführung von Abgasen in den Motor uneingeschränkt funktioniert. Mithilfe dieser Abgasrückführung werden die Stickoxide reduziert, um den Grenzwert der EU 5-Norm einzuhalten.
Außerhalb dieses Temperaturbereichs wird die Abgasrückführung dagegen abgesenkt mit der Folge, dass der Grenzwert für Stickoxide nicht mehr eingehalten wird.
Das Thermofenster reicht in den entschiedenen Fällen von 17 bzw. 18°C bis 30 bzw. 33/34°C. Die Temperaturen des Prüfstands, wo die Werte zur Erlangung der Typgenehmigung gemessen werden, sind auf 20 bis 30°C normiert.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Das OLG Karlsruhe hat die Kfz-Herstellerin in zwei Fällen wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen in Dieselfahrzeugen zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt.
Der 8. Zivilsenat hat damit für die Haftung von Pkw-Herstellern erstmals die bloß fahrlässige Verwendung einer Abschalteinrichtung, hier eines sog. Thermofensters, ausreichen lassen (8 U 86/21 und 8 U 271/21). Das Gericht ist somit den Entscheidungen des EuGH vom 21.03.2023 (Az. C-100/21) und des BGH vom 26.06.2023 (insbes. Az. VIa ZR 335/21) gefolgt.
In einer dritten Entscheidung (8 U 236/21) hat der Senat die Klage wegen fehlenden Schadens des Klägers abgewiesen sowie in einem vierten Verfahren (8 U 325/21) die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet.
Der Senat hatte bereits früher entschieden, dass es sich bei solchen Thermofenstern trotz ihrer weiten Verbreitung um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt und sich der Hersteller insoweit nicht auf Gesichtspunkte des Motorschutzes berufen kann (Urt. v. 14.05.2021 - 8 U 14/20).
Nach der aufgrund der Entscheidung des EuGH nunmehr anwendbaren Vorschrift des § 823 Abs. 2 BGB (i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV) setzt eine Haftung des Pkw-Herstellers für die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung mehr voraus, sondern es genügt einfache Fahrlässigkeit.
Diese Fahrlässigkeit hat der Senat im Anschluss an die nunmehr vom Bundesgerichtshof aufgestellten Kriterien angenommen. Der Pkw-Herstellerin ist es nicht gelungen, die insoweit gegen sie bestehende Verschuldensvermutung zu widerlegen.
Insbesondere ist der Senat nicht ihrer Argumentation gefolgt, dass sie sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden habe, weil das Kraftfahrtbundesamt (KBA) nach ihrer Behauptung die Typgenehmigung auch dann erteilt hätte, wenn sie das Thermofenster im Typgenehmigungsverfahren im Einzelnen offengelegt hätte.
Der Senat hat dahinstehen lassen, ob dies so gewesen wäre, nachdem die Herstellerin schon nicht hinreichend behauptet hat, dass die für sie handelnden verantwortlichen Personen tatsächlich einem Irrtum unterlagen.
Der Senat hat die Herstellerin in den beiden Verfahren, die zu ihrer Verurteilung geführt haben, zur Zahlung eines Differenzschadens von 5.865 € bzw. 803,94 € verurteilt.
Der geringere Schadensersatzbetrag im zweiten Fall beruht darauf, dass sich der Kläger in diesem Fall für die umfangreich gefahrenen Kilometer Nutzungsersatz sowie den Erlös aus der Weiterveräußerung des Fahrzeugs anrechnen lassen musste.
In dem dritten Verfahren hat der Senat die Klage abgewiesen, weil der Kläger einen Schaden nicht dargelegt hat. Trotz Aufforderung hat der Kläger dem Senat den Kilometerstand des Fahrzeugs nicht mitgeteilt, sodass im konkreten Fall nicht ausgeschlossen werden konnte, dass der Kläger mit dem Fahrzeug so viel gefahren war, dass ihm ein Schaden nicht mehr verblieben ist.
In dem vierten entschiedenen Verfahren hat der Senat noch kein Urteil verkündet, sondern die Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Behauptung des Klägers angeordnet, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug mit einem Motor des Entwicklungsauftrags EA 896gen2 komme eine prüfstandbezogene Abschalteinrichtung in Form einer Lenkwinkelerkennung zum Einsatz, die erkenne, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befinde oder nicht.
Liege der Einschlag des Lenkrads unter 15 Grad, nehme die Software eine Abgasprüfung an und regle die Stickoxid-Emissionen nach unten; werde hingegen das Lenkrad mehr als 15 Grad bewegt, sei ein stark erhöhter Stickoxid-Ausstoß festzustellen.
In Anbetracht der Gesamtumstände konnte der Senat nicht (mehr) davon ausgehen, dass der Kläger diese Behauptung ohne hinreichende Anhaltspunkte aufgestellt hat. Für den Fall, dass sich die Behauptung des Klägers bestätigen sollte, käme eine Haftung der Herstellerin in Betracht, die über die Haftung für das Thermofenster hinausginge.
Die Revision gegen die drei Urteile wurde nicht zugelassen. Die Urteile in den Verfahren 8 U 271/21 und 8 U 236/21 sind damit rechtskräftig. Gegen das Urteil im Verfahren 8 U 86/21 kann hingegen binnen eines Monats beim Bundesgerichtshof Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt werden.
OLG Karlsruhe, Urteile v. 22.08.2023 - 8 U 86/21 - 8 U 271/21 - 8 U 236/21 und 8 U 325/21