BVerfG - Beschluß vom 19.08.1987
2 BvR 898/84
Normen:
EMRK Art. 6 Abs. 2 ; GG Art. 2 Abs. 1 Art. 20 Abs. 3 ; MRK Art. 6 Abs. 2 ; StPO § 471 Abs. 3 Nr. 2 ;
Fundstellen:
NStE Nr. 3 zu § 471 StPO
Vorinstanzen:
LG Stuttgart, vom 19.06.1984 - Vorinstanzaktenzeichen 14 Qs 113/84

Strafverfahrensrechtliche Kostenentscheidung und Unschuldvermutung

BVerfG, Beschluß vom 19.08.1987 - Aktenzeichen 2 BvR 898/84

DRsp Nr. 1994/2542

Strafverfahrensrechtliche Kostenentscheidung und Unschuldvermutung

Mit der Unschuldvermutung ist es nicht vereinbar, wenn das Gericht, ohne zuvor die Hauptverhandlung bis zur Schuldspruchreife durchgeführt zu haben, die Kosten- und Auslagenentscheidung nach § 471 Abs. 3 Nr. 2 StPO auf die Annahme gründet, der Beschuldigte sei einer strafbaren Handlung schuldig.

Normenkette:

EMRK Art. 6 Abs. 2 ; GG Art. 2 Abs. 1 Art. 20 Abs. 3 ; MRK Art. 6 Abs. 2 ; StPO § 471 Abs. 3 Nr. 2 ;

Gründe:

A. Das Verfahren betrifft die Reichweite der Unschuldsvermutung im Privatklageverfahren.

I. Der 1911 geborene Beschwerdeführer steht unter der Pflegschaft seiner Ehefrau. Er leidet ausweislich eines nervenfachärztlichen Gutachtens vom 26. Januar 1984 unter einer auf eine Hirnverletzung zurückgehenden paranoid-querulatorischen Entwicklung, die mindestens in das Jahr 1947 zurückreicht. Dem Gutachten zufolge ist der Beschwerdeführer in seinem fortwährenden erbitterten Kampf gegen wirkliches oder vermeintlich erlittenes Unrecht nicht imstande, reale Tatsachen kritisch und logisch zu überprüfen und seine verfälschten Wirklichkeitsvorstellungen zu korrigieren. In allen anderen Bereichen geht das Gutachten von einer weitgehend ungestörten sozialen Verantwortungsfähigkeit und einer mäßig eingeschränkten Kritikfähigkeit aus.