Ist einem Fahrerlaubnisinhaber bei Erreichen eines Punktestands von 18 Punkten im Verkehrszentralregister immer die Fahrerlaubnis zu entziehen?
Das OVG Niedersachsen hat dies verneint und in Übereinstimmung mit der überwiegenden Rechtsprechung ausgeführt, unter welchen Voraussetzungen eine die Fahrerlaubnis trotz Erreichen eines Stands von 18 Punkten ausnahmsweise nicht zu entziehen ist.
Dem Antragsteller wurde mit Bescheid vom 24.10.2007 die Fahrerlaubnis entzogen und die sofortige Vollziehbarkeit der Maßnahme angeordnet. Sein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung wurde vom Verwaltungsgericht abgelehnt. Seine hiergegen gerichtete Beschwerde war erfolgreich.
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers sei rechtmäßig, weil dieser im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung einen Punktestand von 18 Punkten im Verkehrszentralregister erreicht habe. Aufgrund des erreichten Punktestands sei er bindend als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen und die Fahrerlaubnis sei ihm zwingend zu entziehen gewesen.
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, im Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis am 24.10.2007 habe sich ein berücksichtigungsfähiger Punktestand von 18 (26 Punkte abzüglich 8 getilgter Punkte) ergeben. Dieser Punktestand sei auch nicht gemäß § 4 Abs. 5 StVG zu reduzieren, weil gegenüber dem Antragsteller eine nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG notwendige Maßnahme unterblieben wäre.
Am 01.10.2004 sei der bis zu diesem Zeitpunkt entstandene Punktestand von 15 Punkten zwar auf 12 Punkte zu reduzieren gewesen, da für eine Ordnungswidrigkeit die fünfjährige Tilgungsfrist gemäß § 29 Abs. 6 Satz 3 StVG (a.F.) bereits abgelaufen gewesen sei. Durch die Tilgung sei der Antragsteller mit seinem Punktestand somit in den Bereich zwischen 8 und 13 Punkten gefallen. Dies bedeute aber nicht, dass bereits die Maßnahme nach dieser Vorschrift erforderlich geworden wäre und für den Fall, dass die Fahrerlaubnisbehörde sie nicht ergreife, der Punktestand nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG auf 13 Punkte zu reduzieren gewesen wäre. Denn die Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG seien nur dann (erneut) zu ergreifen, wenn der Betroffene die Grenze von 8 und 14 Punkten "von unten" erreiche und überschreite. Ein durch Tilgung oder sonstigen Punkteabbau "von oben" verursachtes Hineinfallen in diesen Bereich löse die Verpflichtung der Behörde, das Punktesystem anzuwenden, hingegen nicht aus.
Das OVG vertrat diesbezüglich eine gegenteilige Ansicht und ging im Rahmen der summarischen Prüfung im gerichtlichen Eilverfahren davon aus, dass die angefochtene Fahrerlaubnisentziehung im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach keinen Bestand haben werde. Deshalb überwog das Interesse des Antragstellers an einer Aussetzung der Vollziehung des Bescheids gegenüber dem gemäß § 4 Abs. 7 Satz 2 StVG kraft Gesetzes angeordneten öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung.
Grundsätzlich hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis des betroffenen Fahrerlaubnisinhabers zu entziehen, wenn sich für ihn 18 oder mehr Punkte ergeben, so dass er als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gilt. Im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung durch den Antragsgegner hatte der Antragsteller den danach erforderlichen Stand von 18 oder mehr Punkten im Verkehrszentralregister aller Voraussicht nach nicht erreicht. Das OVG wies darauf hin, dass für die Erfassung nach dem Punktesystem auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung und nicht auf den Zeitpunkt der Tatbegehung abzustellen war.
Zunächst hatte sich für den Antragsteller ein Stand von 8 Punkten ergeben, für die er schriftlich verwarnt wurde und auf die Möglichkeit der Teilnahme an einem Aufbauseminar hingewiesen wurde. Durch weitere Verkehrsverstöße erhöhte sich der Punktestand dann auf 15. Die Fahrerlaubnisbehörde ordnete daraufhin gegenüber dem Antragsteller die Teilnahme an einem Aufbauseminar an, wies ihn auf die Möglichkeit einer verkehrspsychologischen Beratung hin und unterrichtete ihn darüber, dass ihm bei Erreichen von 18 oder mehr Punkten die Fahrerlaubnis entzogen werde. Nachdem sich die Punktezahl wegen Tilgung einer Bußgeldentscheidung auf 12 reduziert hatte und dann aufgrund eines Verstoßes wieder auf 15 anstieg, verwarnte die Behörde den Antragsteller erneut. Durch einen weiteren Verkehrsverstoß erhöhte sich der Punktestand zwischenzeitlich auf 18, so dass die Voraussetzungen für die - seinerzeit nicht verfügte - Fahrerlaubnisentziehung vorlagen. Durch Tilgung reduzierte sich der Punktestand anschließend auf 13 und erhöhte sich durch zwei weitere Zuwiderhandlung um je 3 Punkte, so dass sich für den Antragsteller 19 Punkte ergaben.
Da der Antragsteller nach dem erneuten Ansteigen seines Punktestands von 13 auf 16 nicht nochmals verwarnt worden war, führte das Überschreiten von 18 Punkten durch den letzten Verstoß jedoch dazu, dass sich der Punktestand gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG auf 17 reduzierte. Nach Ansicht des OVG war eine erneute Verwarnung des Antragstellers im Anschluss an den letztmaligen Verstoß nicht entbehrlich, denn die Maßnahmen nach dem Punktsystem des § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG sind nicht auf eine einmalige Anwendung beschränkt. Ergeben sich die Punktestände der jeweiligen Eingriffsstufen zum wiederholten Mal, sind die Maßnahmen jeweils auch erneut zu ergreifen (vgl. OVG Thüringen, 11.11.2003 - 2 EO 682/03, VRS 106, 315; OVG Nordrhein-Westfalen, 09.02.2007 - 16 B 2174/06, NJW 2007, 1768).
Der Ungeeignetheitsvermutung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG liegt die Wertung des Gesetzgebers zugrunde, dass ein Fahrerlaubnisinhaber, der unter Anwendung des Maßnahmenkatalogs durch wiederholte Verkehrsauffälligkeiten 18 oder mehr Punkte erreicht, die Fahreignung ausschließende Mängel aufweist. Bei ihm kann davon ausgegangen werden, dass er die Angebote und Hilfestellungen nach dem Maßnahmenkatalog nicht oder nicht hinreichend dazu genutzt hat, sein Verhalten im Straßenverkehr zu ändern, und dass seine weitere Teilnahme am Straßenverkehr eine Gefahr für die übrigen Verkehrsteilnehmer darstellen würde.
Die Maßnahme gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG erfüllt dabei auch eine Warnfunktion. Dem Fahrerlaubnisinhaber soll eindringlich vor Augen geführt werden, dass eine weitere Erhöhung seines Punktestands auf 18 oder mehr Punkte die Entziehung seiner Fahrerlaubnis zur Folge hat. Der Zweck dieser Maßnahme entfällt nicht dadurch, dass sie gegenüber dem betroffenen Fahrerlaubnisinhaber in der Vergangenheit schon einmal - oder auch wiederholt - zu ergreifen war. Auch bei einem wiederholten "Sich-Ergeben" von 14 bis 17 Punkten besteht ein Bedürfnis, dem Fahrerlaubnisinhaber (erneut) zu verdeutlichen, dass er bei einer weiteren Erhöhung seines Punktestands mit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis zu rechnen hat.
Quelle: Rechtsanwalt Hans-Helmut Schaefer - Beitrag vom 09.06.08