Die Leistungsfähigkeit eines im Ausland lebenden Unterhaltspflichtigen wird ermittelt, indem die auf deutsche Verhältnisse zugeschnittenen Mindestbedarfswerte auf die im Ausland geltende Kaufkraft umgerechnet werden. Danach muss der Unterhaltsanspruch bzw. der Selbstbehalt entsprechend angepasst werden. Eine Entscheidung des OLG Karlsruhe geht näher auf die Umrechnungsmethode ein.
Sachverhalt
Die getrennt lebenden Ehegatten streiten über die Verpflichtung des Vaters zur Zahlung von Mindestunterhalt für die beiden gemeinsamen Kinder, die bei der Mutter in Deutschland leben. Der Vater lebt in der Schweiz und arbeitet halbtags. Das Familiengericht hat ihn als leistungsfähig angesehen und zur Zahlung von Mindestunterhalt verpflichtet.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Das OLG weist die Beschwerde des Vaters zurück. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Vater aus gesundheitlichen Gründen zwar nicht in der Lage, derzeit mehr als eine halbschichtige Tätigkeit auszuüben. Allerdings ist die fortbestehende teilweise Erwerbsunfähigkeit unterhaltsrechtlich vorwerfbar, denn bei einer rechtzeitigen Behandlung hätte er inzwischen voraussichtlich in vollem Umfang erwerbstätig sein können. Dieses Einkommen ist ihm daher fiktiv zuzurechnen.
Der Bedarf der in Deutschland lebenden Kinder richtet sich nach der Lebensstellung des barunterhaltspflichtigen Elternteils, hier des in der Schweiz lebenden Vaters. Die Anpassung an die unterschiedliche Kaufkraft erfolgt i.d.R. so, dass das im Ausland erzielte Einkommen entsprechend der Kaufkraft umgerechnet wird und sich nach diesem Ergebnis die Einkommensstufe der Düsseldorfer Tabelle richtet.
Zunächst ist das im Vergleich zum Inland unterschiedliche ausländische Preisniveau bei der Prüfung des Selbstbehalts des Unterhaltspflichtigen zu berücksichtigen. Das OLG zieht dabei die vom Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat) herausgegebene Tabelle „Vergleichende Preisniveaus des Endverbrauchs der privaten Haushalte einschließlich indirekter Steuern“ als am besten geeigneten Anpassungsmaßstab heran. Für Deutschland ist für 2014 ein Wert von 101,5 angegeben, für die Schweiz einer von 148,9. Ein deutscher Geldbetrag ist also mit einem Aufschlag von 1,47 zu versehen; die Schweiz war 2014 also etwa 50 % teurer als Deutschland.
Um das in Schweizer Franken fiktiv anzusetzende Einkommen an dem in Euro ausgedrückten deutschen notwendigen Selbstbehalt messen zu können, ist es außerdem in Euro umzurechnen. Denn die genannte Tabelle stellt lediglich einen Index für die Kaufkraftunterschiede dar und enthält nicht zugleich die Umrechnung nach dem Währungswechselkurs.
In der Eurostat-Tabelle sind die in der jeweiligen Landeswährung mitgeteilten Kaufkraftparitäten in Relation zu den Wechselkursen gesetzt. Aus dieser Umrechnung in eine gemeinsame Währung ergibt sich ein unmittelbar aufschlussreicher Vergleich der Kaufkraft. Eine Umrechnung nach dem Währungswechselkurs wäre ggf. zusätzlich vorzunehmen.
Folgerungen aus der Entscheidung
Die Problematik grenzüberschreitender Sachverhalte besteht darin, dass die Lebenshaltungskosten in anderen Ländern deutlich höher oder geringer sein können. Folglich muss der Unterhaltsanspruch entsprechend angepasst werden, wovon die Höhe des zugrunde zu legenden Einkommens und des Selbstbehalts des Unterhaltspflichtigen, dessen Lebensstellung als Grundlage für den Kindesunterhalt und der Standard der ehelichen Lebensverhältnisse beim Ehegattenunterhalt betroffen sein können. Zwar besteht Einigkeit über die Notwendigkeit dieser Anpassung, nicht aber über die Art und Weise ihrer Berechnung (z.B. BGH, Beschl. v. 09.07.2014 – XII ZB 661/12 oder OLG Oldenburg, Beschl. v. 19.10.2012 – 11 UF 55/12).
Der Kindesunterhalt richtet sich nach der Lebensstellung des barunterhaltspflichtigen Elternteils. Lebt dieser im Ausland, ist seine Leistungsfähigkeit zu ermitteln, indem das im Ausland erzielte Einkommen entsprechend der Kaufkraft umgerechnet wird und sich nach diesem Ergebnis die Einkommensstufe der Düsseldorfer Tabelle richtet. Auf diese Weise kann ermittelt werden, welche Geldbeträge der Unterhaltspflichtige an seinem ausländischen Aufenthaltsort aufwenden muss, um einen dem im Inland entsprechenden Lebensstandard zu erreichen. Auch der Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen muss unter Beachtung der Kaufkraftunterschiede ermittelt werden.
Praxishinweis
Steht eine Erkrankung einer Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise entgegen, sollte in der anwaltlichen Beratung immer deutlich gemacht werden, dass Bemühungen um die Wiederherstellung der (vollen) Erwerbsfähigkeit unerlässlich sind. Wer diese unterlässt, muss sich wegen der Verletzung unterhaltsrechtlicher Obliegenheiten ein fiktives Einkommen zurechnen lassen.
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.08.2016 – 5 UF 87/14
Quelle: Richter am Amtsgericht a.D. Dr. Wolfram Viefhues